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Leuchtturmprojekt statt Kleinklein!

Die Billstedter Hauptstraße ist eine, wenn nicht die Visitenkarte Billstedts. Mehr oder weniger jeder Autofahrer, der den Stadtteil passiert, kommt hier durch. An einem normalen Wochentag sind das alleine in ostwestlicher Richtung mehr als 20.000 Fahrzeuge; hinzu kommt der ähnlich massive kreuzende Verkehr. Gegenwärtig ist sie in einem denkbar schlechten Zustand. Flankiert wird sie überwiegend von zu groß geratenen, lieb- und gesichtslosen Gebäuden aus den 70er und 80er Jahren, die Gehwege sowie der Fahrbahnbelag sind desolat, neben einer große Anzahl von Spielhallen und Wettbüros gibt es viele Leerstände, das wenige Straßengrün fristet ein trostloses Dasein, die Bürgersteige und Radwege sind eigentlich immer zugeparkt, Fußgänger werden durch zahlreiche Absperrgitter gegängelt, und zur Krönung überspannt eine hässliche Fußgängerbrücke die ganze Szenerie. Wer hier zum ersten Mal durchkommt, denkt: Genauso hab ich mir Billstedt immer vorgestellt, bloß schnell weg hier. Denn der Stadtteil hat einen ziemlich üblen Ruf. Leider zu unrecht.
Mönckebergstraße des Hamburger Ostens
Nicht immer war die Billstedter Hauptstraße ein derartiger Schandfleck. Bis in die 70er Jahre hinein war sie eine quirlige Geschäftsstraße, die von zahlreichen Fachgeschäften, Lokalen und zwei Kinos gesäumt wurde. Bis in die 40er Jahre gab es hier noch eine prächtige Allee, in den 50er Jahren sprach man von der „Mönckebergstraße des Hamburger Ostens“. Der Niedergang setzte ab Ende der 60er Jahre ein, als mit der U-Bahn-Haltestelle auch ein neues Einkaufszentrum eröffnet wurde. Viele Geschäfte siedelten dorthin um oder mussten aufgrund der neuen Konkurrenz aufgeben. Hinzu kam die Belastung durch den Straßenverkehr. Bis Anfang der 70er Jahre verlief die Bundesstraße B5 über die Billstedter Hauptstraße. Knapp 50.000 Fahrzeuge wurden hier damals an einem Tag gezählt. Um das Aufkommen zu bewältigen, hatte man die Straße auf vier Fahrspuren verbreitert und auch ansonsten zu Lasten von Anwohnern, Fußgängern und Radfahrern allein im Sinne einen möglichst optimalen Verkehrsflusses gestaltet. Als dann zu Beginn der 70er Jahre die B5 an das Ufer der Bille verlagert und damit die allein autogerechte Gestaltung der Billstedter Hauptstraße überflüssig wurde, machte sich niemand die Mühe, der Straße eine neue Chance zu geben. Benutzt und weggeworfen.
Zentrale Forderung der Bewohner
Als Billstedt im Jahr 2006 zusammen mit Horn in das Programm der Aktiven Stadtteilentwicklung aufgenommen wurde, war es eine der zentralen Forderungen der Bewohner, endlich auch die Billstedter Hauptstraße anzugehen. Es sollte geprüft werden, ob nicht auch zwei Fahrspuren für den Autoverkehr ausreichend sind. Auf diese Weise könnte man Platz gewinnen, um die Straße in einen begrünten, für Anwohner, Fußgänger und Radfahrer attraktiven Boulevard mit mehr Einzelhandel und ausreichend Parkflächen umzugestalten. Das Bezirksamt nahm die Idee mit großem Interesse auf: es wurden tolle Pläne gezeichnet, auf denen bequeme ebenerdige Querungen an die Stelle der heruntergekommenen Fußgängerbrücke traten, die angrenzende Reclamstraße gleich miteinbezogen wurde und für eine optimierte Verkehrsführung überdimensionierte Kreuzungsbereiche durch moderne Kreisverkehre ersetzt waren, und man führte eine Verkehrszählung durch um zu ermitteln, ob rein mengenmäßig das Verkehrsaufkommen mit einem Rückbau vereinbar wäre.
Testweiser Rückbau
Die Zahlen sprachen dafür, und so schritt man im Frühjahr 2012 zum testweisen Rückbau auf zwei Fahrspuren. Dafür wurde die maximal günstige Variante gewählt: Gleichwohl den Bewohnern eine Umgestaltung vom Billstedter Mühlenweg zumindest bis zum Schiffbeker Weg, wenn nicht sogar bis zur Washingtonallee vorschwebte, beschränkte man sich auf den Abschnitt unmittelbar am Billstedter Zentrum zwischen Reclamstraße und Am alten Zoll. Realisiert wurde die Verengung dadurch, dass der Radweg zu beiden Seiten auf die Fahrbahn verlagert und entsprechend ummarkiert wurde. Außerdem richtete man auf Höhe der Fußgängerbrücke eine Sprunginsel ein, um eine ebenerdige Querung zu ermöglichen. Begleitet wurde die Maßnahme von Verkehrszählungen kurz nach dem Umbau und ein Jahr später, Verkehrsbeobachtungen durch die Polizei sowie durch Mitarbeiter eines Verkehrsplanungsbüros und schließlich eine Umfrage unter Bewohnern und motorisierten wie unmotorisierten Passanten.
Kaum Beeinträchtigungen
Am 22. Januar wurden die Resultate der Untersuchung nun von Michael Mathe, dem Leiter der Stadtplanungsabteilung des Bezirksamts Hamburg-Mitte, im Saal der Schiffbeker Kreuzkirche der Öffentlichkeit präsentiert. Das Ergebnis ist eindeutig: Bei ähnlich hohem Verkehrsaufkommen ist es zu keinen schwerwiegenden Beeinträchtigungen des Straßenverkehrs gekommen. Die Sprunginsel wurde stark angenommen. Die Zahl der ungewollten Querungen im Bereich der Absperrgitter sowie die Nutzung der Brücke gingen massiv zurück. Anwohner, Fußgänger und Radfahrer empfanden die neue Situation überwiegend als deutlich positiv, und auch der Großteil der Autofahrer bewertete sie als erträglich.
Fahrradstreifen untauglich
Ähnlich war auch das Meinungsbild bei den etwa achtzig Besuchern der Veranstaltung. Weitestgehende Einigkeit herrschte zudem darüber, dass die Führung des Radwegs auf der Fahrbahn in diesem Bereich keine taugliche Lösung ist. Trotz wiederholter Schwerpunkteinsätze der Polizei kam es während der gesamten Testphase zu massivem Missbrauch der Fahrradstreifen durch parkende Fahrzeuge. Der anwesende Vertreter der Billstedter Polizeiwache brachte deutlich zum Ausdruck, dass sich dieses Problem aufgrund der unmittelbaren Lage an Billstedter Einkaufzentrum durch Sanktionen nicht lösen lassen wird, egal wie hoch der personelle Aufwand ist. Eine Radfahrerin schilderte eindringlich, welche Gefahr von den auf dem Radweg parkenden Fahrzeugen ausgeht.
Schiefe Argumente der Gegner
Darüber, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, gingen die Meinungen erheblich auseinander. Während die allermeisten die Auffassung vertraten, dass man dann den Radweg halt jenseits der parkenden Fahrzeuge auf dem Bürgersteig führen müsse und die Lösung auf der Fahrbahn ja vor allem deshalb gewählt habe, da es die einfachste und günstigste Form des testweisen Rückbaus sei, zogen eine kleine Gruppe von Besuchern, die die ganze Sache alleine aus der Perspektive des Autofahrers betrachteten, sowie Gerd Imholz (CDU) samt einiger seiner Parteifreunde deshalb den gesamten Rückbau in Zweifel. Ferner führten sie an, dass die Billstedter Hauptstraße ja nur von sehr wenigen Radfahrern genutzt werde (bei der zweiten Zählung sogar noch weniger als bei der ersten) und dass es in der letzten Zeit zu massiven Stauungen auf der Moorfleeter Straße sowie dem Rotenbrückenweg gekommen sei.
Mutwilliges Missverständnis
Während letzteres nach einhelliger Auffassung nicht durch den Rückbau der Billstedter Hauptstraße sondern durch die Baumaßnahmen auf der Autobahn A1 verursacht ist, verkennt ersteres mutwillig die eigentliche Zielrichtung des testweisen Umbaus: Nicht um die Schaffung eines besseren Radweges ging es bei der Maßnahme, sondern darum herauszufinden, ob für den Autoverkehr auch zwei Fahrspuren ausreichend sind, um dann Platz zu gewinnen für eine attraktive Umgestaltung der Billstedter Hauptstraße. Bis heute ist Herr Imholz die Beantwortung der Frage schuldig geblieben, ob er die Situation vor dem Umbau eigentlich schön fand und ob er nachvollziehen kann, dass diese eine Belastung für Anwohner, Fußgänger und Radfahrer dargestellt hat.
Endlich ein Leuchtturmprojekt
Die Gegner des dauerhaften Rückbaus auf zwei Fahrspuren verkennen völlig, welche Chancen dieser bieten würde. Durch ihn hätte man endlich die Möglichkeit, ein Leuchtturmprojekt zu schaffen, das für eine positive Entwicklung im Stadtteil steht, weit über dessen Grenzen und zugleich in sein unmittelbares Umfeld hinein ausstrahlt und den Bemühungen um eine Imageverbesserung bis heute fehlt. Neben der zum großzügigen Boulevard umgestalteten Billstedter Hauptstraße könnte sich der zentral gelegene Platz an der Abzweigung der Möllner Landstraße ohne weiteres zu einer lebendigen Piazza weiterentwickeln. Eine vielfältige Gastronomie ist bereits vorhanden.
Billstedt nicht mehr im Fokus
Zugleich spielen die Gegner des Projekts den veränderten Interessenlagen in Rathaus, Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) und Bezirksamt in die Hände. Zwar wird Bürgermeister Scholz nicht müde, sich als Bekämpfer der sozialen Spaltung in der Stadt zu inszenieren (zuletzt in der „Zeit“ vom 16.1.), doch tatsächlich geht es ihm einzig und alleine ums Sparen. Aber wie sollen sich schon lange benachteiligte Stadtteile wie Billstedt entwickeln können, wenn man nicht auch Geld auf den Tisch legt? Die BSU ist mittlerweile überwiegend auf die Hafencity und Wilhelmsburg fokussiert und lässt zugleich den Bezirksämtern deutlich weniger Spielraum. Und während sein Vorgänger Markus Schreiber in Billstedt noch das nächste Ottensen sah und sich stark für den Stadtteil engagierte, endet die städteplanerische Phantasie des neuen Bezirksamtsleiters Andy Grote in Rothenburgsort und wendet sich von dort über die Elbbrücken nach Süden.
Bezirksamt will Radwege auf Straße
Deutlich wurde dies schon bei den Vorschlägen, die der Bezirksamtsmitarbeiter Markus Weiler bei der Veranstaltung im Saal der Kreuzkirche präsentierte. Statt der großräumigen Neugestaltung, von der ursprünglich und auch während der Veranstaltung von den Teilnehmern immer wieder gesprochen worden war, bot er eine Erneuerung der Pflasterung, ergänzende Baumpflanzungen zum bestehenden Grün sowie das Aufstellen von zusätzlichen Bänken und Fahrradbügeln an, also letztlich das Kleinklein der Stadtteilentwicklung, über den sich die Aktiven seit Jahren ärgern und das meilenweit von dem für eine substantielle Verbesserung erforderlichen großen Wurf entfernt ist.
 
Billige Lösung
Insbesondere schmerzt dies, wenn man sieht, was für gigantische Anstrengungen in der Hafencity, in Wilhelmsburg und wohl bald auch in der neuen Mitte Altona unternommen werden. Und was den Radweg angeht, da hielt Herr Weiler trotz der offensichtlichen strukturellen Probleme der aktuellen Lösung eine flammende Rede dafür, dass er am allerbesten auf der Fahrbahn aufgehoben sei. Nirgendwo wurde deutlicher, dass es dem Bezirksamt nicht mehr um eine gute, sondern nur noch um eine billige Lösung geht. Von Kreisverkehren und der Ausweitung des Rückbaus bis zum Billstedter Mühlenweg, in die Reclamstraße hinein und zur Washingtonallee war selbstverständlich nicht mehr die Rede.
Kreative Vorschläge
Für die Befürworter des dauerhaften Rückbaus sind dies jedoch essentielle Faktoren. Nur so leistet er die schon lange erforderliche Stadtreparatur und kann er die angestrebte Strahlkraft entfalten. Ein weiterer Punkt war die Schaffung einer angemessenen Beleuchtung. Gegenwärtig verbreiten riesige Laternenmasten eine Atmosphäre wie auf einem Verschiebebahnhof. Hinsichtlich des Radwegs wurde der Vorschlag gemacht, für beide Fahrtrichtungen auf der wesentlich lebendigeren, dem Zentrum zugewandten Nordseite der Billstedter Hauptstraße eine breite Fahrradspur zu schaffen, die durch einen Parkstreifen von der Fahrbahn getrennt wird. Würde man diesen nach Osten bis ins Tal des Schleemer Baches und nach Westen bis zur Washingtonallee führen, so könnte man nicht nur eine tolle Veloroute durch Billstedt schaffen, sondern auch eine große Lücke im Radwegenetz Hamburgs schließen. Bei der Bepflanzung wäre es schon wünschenswert, wenn man nicht nur den nicht mehr wirklich vitalen Altbestand durch einige neue Bäume ergänzt, sondern den Grundstock für eine neue Allee legen würde. Neben dem Abbruch der Brücke wurde die Schaffung weiterer Sprunginseln und eine Überprüfung der Sinnhaftigkeit der bestehenden Ampeln gefordert. Und schließlich hatten die Bewohner auch für die durch die zahlreichen Kurzparker verursachten Probleme eine Lösungsidee. Würde man die beiden verbleibenden Fahrspuren nach Süden verlagern, würde bei der Abzweigung der Möllner Landstraße genug Platz entstehen, um wie eine Boxengasse eine gesonderte Fahrspur von der Billstedter Hauptstraße abzuzweigen, die an der Straße Am alten Zoll wieder einmündet und an der zahlreiche Schrägparkplätze liegen. Wer nur kurz halten will, um jemanden raus zu lassen oder auf jemanden zu warten, könnte hier auf der Fahrspur stehen bleiben, wenn er keinen Parkplatz findet. Statt wie bisher den Verkehrsfluss in der Billstedter Hauptstraße würde er nur noch ausparkende Fahrzeuge behindern.
Auch mal in Billstedt investieren!
Es wäre also schon eine Menge mehr möglich als nur das aktuelle Provisorium abzurunden. Letztlich würde man nur so dahin kommen, dass man die bestehenden Probleme löst. Zwei Dinge sind dafür jedoch erforderlich: Zum einen muss man es überhaupt wollen. Und zum anderen muss dafür Geld in die Hand genommen werden. Schaut man sich den baulichen Zustand von Straße und Gehwegen an, so scheint dies so oder so notwendig. Und angesichts des Umstandes, dass in den vergangenen Jahrzehnten so wenig an der Straße getan wurde, müsste das Geld doch eigentlich mittlerweile angespart sein.