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Italienische Militärinternierte als Zwangsarbeiter in Billstedter Unternehmen in der NS-Zeit

Das Thema des Einsatzes von Zwangsarbeiter:innen in der NS-Zeit ist heute wenig präsent in der öffentlichen Wahrnehmung über diese Periode. Deportationen oder Konzentrationslager stehen im Blick, wenn auch damals wenig sichtbar für die damalige Gesellschaft. Der Arbeitseinsatz von Menschen aus anderen Ländern dagegen war seit Ende 1939 ein alltägliches Erleben in den Stadtteilen. Bis zu 500.000 Zwangsarbeiter:innen wurden von 1939 bis 1945 in privaten und öffentlichen Unternehmen eingesetzt, um die durch den Krieg nicht mehr vorhandenen Arbeitskräfte zu ersetzen. Auch in Billstedt und Billbrook waren es Tausende, die hier in den Unternehmen zur Arbeit gezwungen wurden, in die sie aus ihren Heimatorten verschleppt worden waren. Ein besonderer Blick soll auf eine Gruppe unter ihnen gerichtet werden, den italienischen Militärinternierten.

Das Billstedter Baugeschäft Max Bruns aus der ehemaligen Hamburger Straße 224 heute Steinbeker Hauptstraße 96 gehörte zu den Unternehmen, die ab Ende 1943 Zwangsarbeiter beim Hamburger Arbeitsamt angefordert hatten. Es handelte sich dabei um sieben italienische Militärinternierte (IMI). Ein anderes Unternehmen an der damaligen Hamburgerstraße in Billstedt, Zipperling, Kessler & Co. am Fuße des Spökelbergs, setzte in der NS-Zeit 18 italienische Militärinternierte ein.

Insgesamt waren es 17 Unternehmen aus Billstedt und Billbrook, die diese aus der Heimat verschleppten Menschen als Zwangsarbeiter in der NS-Zeit als Arbeiter beschäftigen.

1

Christian Dobbertin & Co.

Liebigstraße 54

21

2

Donar Türenwerke

Werner-Siemens-Straße

10

3

Fernverpflegung Emil C. F. Flügge

Billbrookdeich 8

8

4

Hermann Gröpper

Oejendorferstraße 25

38

5

E. Hoyer KG

Werner-Siemens-Straße 7

19

6

Richard Jebens

Liebigstraße 28

4

7

Albert Kehrhahn

Liebigstraße 46

14

8

Kurt A. Schröder

Roterbrückenweg 9

21

9

Hans Still

Liebigstraße

61

10

Emil Suck, Baugeschäft

Hamburgerstraße 143

7

11

Otto Wulf, Zimmermeister

8

12

Zipperling Kessler & Co.

Hamburgerstraße 124

18

13

Johs. Assenbaum, Baugeschäft

Billbrookdeich 84 a

4

14

Heinrich Gerbode, Bauunternehmen

Lager Liebigstraße 61

7

15

Fr. Karnbach

Borsigstraße 1

10

16

Ruberoidwerke

Billbrookdeich 45

27

17

Max Bruns

Hamburgerstraße 224

8

insgesamt

285

Wer waren die italienischen Militärinternierten?

Bei den IMI handelte es sich um italienische Soldaten, die ab dem 8. September 1943 von der Wehrmacht gefangen genommen wurden. Italien war zunächst Verbündeter Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Doch nach dem Sturz Mussolinis im Juli 1943 änderte sich das. Am 8. September 1943 schloss Italien einen Waffenstillstand mit den Alliierten. Nach der Verkündung entwaffnete die Wehrmacht die italienische Armee. Wer sich weigerte, weiter an der Seite Deutschlands zu kämpfen, wurde gefangen genommen. Über 650.000 italienische Soldaten von etwa 830.000 sagten „Nein“ und wurden so vor allem nach Deutschland verschleppt.

Da Hitler sich nicht an internationale Konvention zur Behandlung von Kriegsgefangenen halten wollte, erklärte er sie zu „Militärinternierten“. So konnten sie auch in Rüstungsunternehmen eingesetzt werden, was gemäß Völkerrecht bei regulären Kriegsgefangenen nicht zulässig gewesen wäre. Im Sommer 1944 wurden sie dann in den Status von Zivilarbeitern überführt.

Über die IMI bei Ruberoid am Billbrookdeich 45

Augusto Costantini (geb. 1923) war einer der IMI, die bei Ruberoid in Billbrook im Billbrookdeich 45 arbeiten mussten. Sein Weg steht exemplarisch für die insgesamt 17.000 IMI, die in Hamburger Unternehmen kamen. Er wurde am 9. September 1943 in Jugoslawien gefangen genommen. Am 16. September 1943 kam ihr Waggon im niedersächsischen Bahnhof Bremervörde an und sie ging zu Fuß weiter zum abgelegenen Kriegsgefangenen-Stammlager in Sandbostel.

Nach Hamburg wurde er am 9. Dezember 1943 ins Lager des Unternehmens Ruberoid in Billbrook verlegt. Die Ruberoid AG produzierte Rollen von Teerpappe und Linoleum-Laminaten für den Notwohnungsbau. "In der Baracke gab es Tische und Hocker, ein Waschbecken und die üblichen Etagenbetten“, erinnerte er sich später. Er musste mit 27 Kameraden für Ruberoid arbeiten. Dabei wurden sie im Lager bis August 1944 von der Wehrmacht bewacht. Costantini: „Wir hatten keine finanziellen Mittel, aber es gab immer einen gewissen Schwarzmarkt mit französischen Zwangsarbeitern. In der Fabrik, in der wir ohne Begleitung herumlaufen konnten, da sie sichtbare Lichtbildausweise erhalten hatten, gab es Hochöfen, in denen Teerpapier hergestellt wurde, um die Dächer der zerbombten Häuser abzudecken. In der Mittagspause, die etwa eine halbe Stunde dauerte, suchten wir Holz, um uns zu wärmen, und Kräuter zum Essen.“

Ruberoid war 1897 gegründet und 1916 in ein Aktienunternehmen umgewandelt worden. Es war einst ein reines Dachpappe-Unternehmen. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs veränderte sich die Lage des Unternehmens grundlegend. Lag der Gewinn 1939 noch bei 50.000 Reichsmark (RM), so waren es 1942 151.000 RM und 1943 136.000 RM. Nach 1945 wurde die Ruberoid AG nach eigenen Angaben Europas größtes Spezialbauunternehmen für Neubau, Sanierung und Wartung von Gebäudehüllen. Heute gibt es Ruberoid so nicht mehr, es ging im Jahr 2000 pleite. Das operative Geschäft wurde und wird bis heute von der RUBEROID TEAM AG weitergeführt, die sich als Spezialist für Flachdachabdichtungen beschreibt.

Das Ausmaß der NS-Zwangsarbeiter in Hamburg

Die italienischen Militärinternierten waren nicht die einzigen NS-Zwangsarbeiter in Hamburg. Insgesamt mussten von 1939 bis 1945 rund 500.000 in Hamburg arbeiten. Mit dem Verlauf des Zweiten Weltkrieges wuchs ihre Anzahl vor allem in Deutschland, da immer mehr Beschäftigte an die Fronten abkommandiert wurden. In Hamburg waren 1939 z.B. bei der Müllabfuhr noch über 800 deutsche Arbeiter beschäftigt. 35 waren es Ende 1944, fast 800 der „Müllarbeiter" in Hamburg waren Zwangsarbeiter aus Italien und der Sowjetunion.

Die Arbeitskräfte wurden über die deutsche Wehrmacht aus ihrer Heimat nach Deutschland verschleppt und in Hamburg über das Arbeitsamt an die Firmen überstellt. Die Unternehmen hatten ihrerseits den Bedarf an ausländischen Arbeitskräften beim Arbeitsamt geltend gemacht. Voraussetzung war, dass es Unterkünfte für sie gab. Die Menschen wurden in Zwangsarbeitslager, meistens in Barackenlagern der Stadt oder auf dem Firmengelände untergebracht.

Die Hans Still Motorenwerke errichteten Ende der 1930er Jahre an der Ecke Liebigstraße/Berzeliusstraße einen neuen Produktionsstandort, da sie einen Auftrag der deutschen Wehrmacht für fahrbare Stromerzeugungsaggregate erhalten hatten. Die Bahngleise führten direkt am Werk vorbei. Im Jahr 1933 zählte STILL 70 Beschäftigte, 1938 beschäftigte die Firma 715 Menschen, 1944 waren es schließlich 1.503, darunter 460 Zwangsarbeiter:innen. Der Umsatz lag 1933 bei 600.000 RM, 1938 bei 8,7 Mio. RM und 1944 bei 40 Mio. RM. Der Gewinn belief sich im Jahr 1933 auf 16.000 RM, 1943 waren es über 3 Mio. RM.

Für die Zwangsarbeiter:innen unterhielt STILL ein firmeneigenes Lager in der Liebigstraße 33 (für Frauen) sowie ein weiteres in der damaligen Hamburger Straße 303 (Betriebsstätte Boberg) für sowjetische Frauen und Männer. Zudem nutzte das Unternehmen sogenannte Gemeinschaftslager, etwa in der Berzeliusstraße 98 (für Frauen) und am Unteren Landweg/Funkturm Billbrook (für Männer). In diesen Baracken lebten Menschen, die für verschiedene Unternehmen arbeiteten.

Die Zwangsarbeiter:innen bei STILL stammten aus der Sowjetunion, Frankreich und Italien. Nach Angaben des Unternehmens wurden die ersten Zwangsarbeiter:innen 1942 eingesetzt. Ende 1943 kamen 61 italienische Militärinternierte (IMI) in die Produktion. Sie mussten im Gemeinschaftslager Unterer Landweg/Am Funkturm untergebracht werden. Einer von ihnen war Aldo Manzi, geboren am 16. Dezember 1922 in Nevars. Er wurde am 10. September 1943 in Bozen von der deutschen Wehrmacht gefangen genommen und kam über das Kriegsgefangenen-Stammlager in Sandbostel (nahe Bremervörde) im Jahr 1943 nach Hamburg zum Unternehmen. Am 5. Mai 1945 starb er im AK St. Georg an den Folgen eines Bauchschusses.

Zipperling, Kessler & Co. und andere Billstedter Unternehmen wie die Konservenfabrik Hermann Paul Möller aus dem Schleemer Weg 34/38 hatten bereits 1942 Menschen aus der Sowjetunion für ihre Produktionszwecke beschäftigt. Beim notwendigen Bau des Firmenlagers für Zipperling, Kessler & Co. und Möller musste erst das Einverständnis des Reichskommissars für Bewaffnung und Munition vorliegen. Für die genaue Planung des Lagers wurde das Stadtbauplanungsamt der Hamburger Baubehörde beauftragt. Der Auftrag zum Bau der Baracken und Unterkünfte erfolgte über die Deutsche Arbeitsfront (DAF).

Das Konservenunternehmen Hermann Paul Möller aus dem Schleemer Weg 34/38 setzte ab 1942 sowjetische Zwangsarbeiterinnen ein. 98 Namen können nachgewiesen werden. Ihr Lager war am Schleemer Weg.

Zipperling, Kessler & Co. hatte seinen Unternehmenssitz 1943 in der Hamburger Innenstadt, in der Fischertwiete 1 im Chilehaus, Eingang B. Der Produktionsstandort war in der Billstedter Hauptstraße 124. Für 1942 sind 40 sowjetische Zwangsarbeiter nachgewiesen. Das Lager wurde vermutlich auf dem Firmengelände gebaut.

Die Vereinigten Jute Werke AG hatten u.a. in der Hamburgerstraße 108/Ecke Geesttwiete, heute Billstedter Hauptstraße, an der Bille ein Werk (ehemals zur Norddeutsche Jutespinnerei AG gehörig), in dem sowjetische Zwangsarbeiterinnen arbeiten mussten. Das Lager war für 260 Menschen eingerichtet worden. Gefunden wurden bisher 108 Namen.

4. Mai 1945 auf dem Rathausmarkt „Nach Hause!“

Am 3. Mai 1945 wurde Hamburg von der NS-Herrschaft befreit und die Verwaltung der Stadt ging an die britische Armee. Am 4. Mai 1945 konnten sich Tausende Zwangsarbeiter:innen auf dem Hamburger Rathaus mit ihre Landesfahnen frei versammeln, um ihren Wunsch nach Rückkehr in die Heimat deutlich zu machen. Ab Mai 1945 fuhren Hunderttausende über den Bahnhof Dammtor nach Hause.