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Wohnungsnot

"Bei uns dürfte eine eigentliche Wohnungsnot nach dem Kriege wohl gerade nicht zu befürchten sein, in den Großstädten muß man aber sehr mit einer solchen Möglichkeit rechnen." So hatte der "Lokal-Anzeiger" die im Sommer 1918 durchgeführte Wohnungszählung kommentiert, bei der in Schiffbek bekanntlich 288 leerstehende Wohnungen ermittelt worden waren. Und obwohl deren Zahl bis zum August 1919 bereits auf 80 gesunken war, stellte man noch sechs Monate später in der Gemeindevertretersitzung Überlegungen an, Zweizimmerwohnungen zu Vierzimmerwohnungen zusammenzulegen. Doch schon wenig später war hierfür kein Platz mehr: Ab dem Sommer 1920 machte sich der Wohnungsmangel auch in Schiffbek bemerkbar. Bis 1925 stieg die Zahl Wohnungssuchenden auf 295, 1927 belief sie sich auf 347 und ein Jahr später auf 400. Billstedt verzeichnete dann 1929 500 und Anfang 1930 gar 550 Wohnungssuchende. Wenig später heißt es einmal: "Es sei bedauerlich, daß nicht mehr Wohnungen gebaut werden könnten, dabei seien hier Wohnhöhlen vorhanden, die in der heutigen Zeit nicht mehr als menschenwürdig angesprochen werden könnten." In einzelnen Fällen kam es vor, daß 11 Personen in einer Wohnung oder gar 7 Personen in einem Zimmer lebten. Außerdem merkte die "Billstedter Zeitung" Anfang 1933 zu der Bevölkerungsstatistik des Vorjahres, die die Einwohnerzahl für Ende 1932 auf 12.715 bezifferte, an, "daß wohl mindestens noch 1000 und mehr Personen sich unangemeldet auf Billstedter Gebiet, namentlich in den vielen Siedlungen, Wohnwagen usw. aufhalten." Vielfach war es nicht einmal möglich, kinderreiche Familien, "besonders aber solche, welche mit ansteckender Tuberkulose der Lungen," mit ausreichendem Wohnraum zu versorgen. So konnte die Gemeinde beispielsweise 1925 überhaupt nur 8 erfolgreiche Vermittlungen vermelden. Verursacht worden war die Wohnungsnot dadurch, daß im Krieg der Wohnungsbau fast vollständig zum Erliegen gekommen war und zugleich viele Menschen geheiratet hatten. Letzteres läßt sich auch an der Schiffbeker Bevölkerungsstatistik ablesen: Während die Einwohnerzahl, die 1918 bekanntlich 6900 betragen hatte, auch 1927 mit rund 8600 weit unter dem Vorkriegswert blieb, lag die Zahl der Haushaltungen zu diesem Zeitpunkt mit 2342 erheblich über dem Stand von 1907. Verbunden war damit ein Rückgang der durchschnittlichen Haushaltsgröße auf 3,6 Personen. Zunächst war die Bekämpfung der Wohnungsnot durch die Materialknappheit erschwert worden: Beispielsweise waren im Herbst 1920 von den 18.000 Ziegeleien im Reich infolge des Kohlenmangels 17.000 stillgelegt. Die Gemeinde Schiffbek begnügte sich aus diesem Grund einstweilen mit der Instandsetzung von 12 Wohnungen im verfallenen Hinterhaus der 1898 eröffneten Altmannschen Eisenwarenhandlung, die im Oktober 1920 mit der Aufnahme einer Anleihe über 40.000 Mark in Angriff genommen wurde. Gut ein Jahr später konnte sie dann auch an die Errichtung von Neubauten gehen: Für 750.000 Mark, deren Beschaffung auf dem Anleiheweg im November 1921 beschlossen wurde, errichtete man an Mühlenweg und Feldstraße insgesamt fünf "zeitgemäße Kleinwohnhäuser" mit jeweils zwei Wohnungen. Drei weitere Wohnhäuser mit jeweils vier Zweizimmerwohnungen folgten Dank eines Zuschusses des Kreises 1927 an der Möllnerlandstraße. Außerdem hatten die Gemeinden Schiffbek, Kirchsteinbek und Öjendorf im Februar 1922 eine "Verordnung über Maßregeln gegen Wohnungsmangel" erlassen, die unter anderem die Beschlagnahme von leerstehenden Wohnungen sowie von Teilen übergroßer Wohnungen legitimierte. In den Richtlinien für die Inanspruchnahme von Wohnungen und Wohnungsteilen des Kreises Stormarn war im Sommer 1920 der folgende allgemeine Grundsatz formuliert worden: "Die Anzahl der Zimmer, welche den Verfügungsberechtigten zu belassen ist, berechnet sich wie folgt: ein Zimmer für je zwei erwachsene Haushaltsmitglieder (Kinder unter 10 Jahren die Hälfte) und ein besonderes Zimmer für den gesamten Haushalt sowie ausreichend Raum für freiwerdende Möbel." Viele Menschen griffen in der Nachkriegszeit aber auch, sofern es ihre finanziellen Möglichkeiten zuließen, zur Selbsthilfe und erfüllten sich den Traum vom eigenen Heim im Grünen. Ein besonders interessantes Beispiel ist die Wohnanlage der "Siedlungsgenossenschaft Schiffbeker Höhe". Sie entstand auf einem östlich des Rahlstedterweges gelegenen Areal, das die in Hamburg ansässige "Gemeinnützige Eigenheimsiedlung und Wirtschaftsgenossenschaft der Kriegsopfer e.G.m.b.H." 1921 von der Terraingesellschaft erworben, parzelliert und dann an Mitglieder abgetreten hatte. Anfang Dezember 1921 berichtete die "Schiffbeker Zeitung" von dort: "Wie wir hören, machen die Vorarbeiten für die geplante Siedlung gute Fortschritte. Die Vermessungsarbeiten sollen schon in den nächsten Tagen beginnen, so daß bei feiner Witterung mit dem Straßenbau angefangen werden kann. Sehr zu begrüßen ist, daß die Genossenschaft einen großen Teil der Arbeiten in Selbsthilfe zu bauen beabsichtigt. So soll schon in den nächsten Tagen eine große Holzbaracke aufgerichtet werden, die die Werkstätten, Baubüro und eine Wohnung für die Nachtaufsicht in sich tragen wird. Das wird dann ein geschäftiges und emsiges Arbeiten werden, wenn erst der warme Frühling hereinbricht und die Siedler an ihren Eigenheimen zimmern und in Schiffbeks Norden einen neuen Stadtteil errichten." Bis die Siedlung fertig war, vergingen dann etliche Jahre. Vielfach mußten die Bauten infolge Geldknappheit vorübergehend stillgelegt oder aber mit einem weiteren Stockwerk versehen werden. 1928 streckte die Gemeinde die Kosten für den Ausbau der "Schiffbeker Höhe" vor, und ein Jahr später erfolgte die Benennung der "Rathenaustraße". Eine ähnliche Entwicklung nahmen die weiter nördlich am Rahlstedterweg gelegenen Gartengemeinschaften "Goldkoppel" und "Rehkoppel": Nachdem die Flächen in den Besitz der Pächter übergegangen waren, wurde auch hier in den 20er Jahren eine Vielzahl "massiver Dauerwohnungen" errichtet. Die Gemeinde förderte den Eigenheimbau zum einen durch die Gewährung günstiger Hypotheken und zum anderen durch die Vergabe von Grundstücken in Erbpacht. Letzteres galt vor allem für das Wasserwerksgrundstück, dessen Siedlungsstraße 1927 von der Gemeindevertretung mit dem Namen "Hollestraße" versehen wurde. Des weiteren hatte die Gemeinde in den Jahren 1919/20 zusätzliches Bauland durch die Anlage des Schleemerweges erschlossen. Und schließlich verabschiedete sie 1928 einen neuen Bebauungsplan, der nun auf 88.000 Einwohner zugeschnitten war. Insgesamt wurde zwischen 1918 und 1927 in Schiffbek 257 Umbauten vorgenommen und 223 Neubauten fertiggestellt; 1928 kamen noch einmal 19 Gebäude mit 32 Wohnungen hinzu. Daß sich auf diese Weise die Wohnungsnot nicht beheben ließ, war eingangs bereits gezeigt worden. Eine gewisse Besserung versprach dann endlich das Projekt der "Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft Selbsthilfe G.m.b.H.", das von der "Schiffbeker Zeitung" am 10. Dezember 1927 wie folgt beschrieben wurde: "Es handelt sich um ein Bauvorhaben von 270 Wohnungen mit zwei Zimmern und Küche am Mühlenweg, das von der Bauhütte Nord und den Architekten Berg & Paasche ausgearbeitet worden ist. Das Projekt ist so angelegt, (daß) es sich gut und ansprechend in die Umgebung eingliedert. Die Wohnungen sollen durchschnittlich 50 Quadratmeter groß sein. In der Mitte des Häuserblocks wird als besondere Neuerung ein Gemeinschaftshaus errichtet, das moderne Waschküchen, Badeeinrichtungen und einen Kinderhort enthält. Die Gebäudeblocks sind in eine Grünanlage hineingestellt; die Innenhöfe werden mit gärtnerischen Anlagen und Spielplätzen sowie mit Rasenflächen freundlich hergerichtet. Vor dem Baublock wird eine leichte Senkung des Geländes, durch die sich ein kleiner Bach hinzieht, ebenfalls für die Grünanlagen mit ausgenutzt. Im diesem Bach soll außerdem ein Planschbecken angelegt werden." Unterstützt wurde dieses Projekt sowohl von dem Kreis Stormarn als auch durch die Gemeinde Schiffbek, die der Baugenossenschaft neben dem 30.000 qm großen Grundstück auch alle ihr zur Verfügung stehenden Hauszinssteuer-Hypotheken überließ. Die Bauherren von Eigenheimen wurden hierdurch gezwungen, sich anderweitig Kredite zu verschaffen. Als dann infolge des New Yorker Börsenkrachs von Ende Oktober 1929 viele Bauhypotheken in Deutschland geschlossen wurden, stellte sich ihre Situation wie folgt dar: "Mehr als ein Dutzend Siedlungsbauten sind im Grund- und Kellerausbau fertiggestellt, können aber nicht weitergeführt werden." Aber auch das Vorhaben der "Selbsthilfe", bei dem im Frühjahr 1929 die ersten 46 an der Kapellenstraße gelegenen Wohnungen hatten bezogen werden können, wurde nicht zum Ende gebracht: Nach der Fertigstellung des zweiten, am Mühlenweg gelegenen und 60 Wohneinheiten umfassenden Bauabschnitts kam es auch hier zur Einstellung der Bautätigkeit, da sich der Block nicht rechnete. Schon im Januar 1930 waren deshalb die Mieten um 4 Mark erhöht worden. Im November 1931 folgte dann die Übernahme des Komplexes durch den Hauptgläubiger, die in Hamburg ansässige Gesellschaft "Dewog". Weitere Wohnungen entstanden derweil in unmittelbarer Nachbarschaft durch die Kieler "Baugesellschaft für Heimsparer", der die Gemeinde bereits im Dezember 1930 am Mühlenweg ein Grundstück zur Errichtung eines Zwölfwohnungshauses in Erbpacht überlassen hatte: Im Oktober 1931 trat sie an gleicher Stelle abermals 1300 qm an das Unternehmen ab, das nun den Bau eines Hauses mit 18 Wohnungen beabsichtigte. Wie bei der "Selbsthilfe" sollten auch diese Wohnungen, die eine Wohnfläche von 42 qm hatten, jeweils zwei Zimmer umfaßten und in der Ausstattung einfach gehalten waren, durch das Wohnungsamt vergeben werden. Dessen Problem stellte sich allerdings schon im Mai 1930 wie folgt dar: "Ein großer Teil der Wohnungen im Baublock am Mühlenweg stehe noch leer, weil es der proletarischen Masse nicht möglich sei, die hohen Mieten aufzubringen."