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Die nationalsozialistische Machtergreifung in Billstedt

Am Dienstagnachmittag wurden durch eine Abteilung Nationalsozialisten und Stahlhelmleute in Begleitung eines Schupokommandos auf dem Billstedter Gemeindehaus, dem Postamt und den Schulgebäuden schwarz-weiß-rote und Hakenkreuz-Fahnen gehißt. Es hatten sich zwar sehr viele Neugierige bei diesen Handlungen eingefunden, doch kam es zu keinerlei Zwischenfällen." Vorgenommen worden waren diese Handlungen am 7. März 1933, veranlaßt hatte sie die Kreisleitung der NSDAP. Mit ihnen kündigte sich das an, was sich im Laufe des folgenden Monats auch in Billstedt vollziehen sollte: Die nationalsozialistische Machtergreifung.
Die Grundlage hierfür wurde mit einer Anordnung geschaffen, die von der "Billstedter Zeitung" am 14. März 1933, also nur zwei Tage nach der Gemeindevertreterwahl, mit den folgenden Worten widergegeben wurde: "Von wenigen Ausnahmen abgesehen haben die Nationalsozialisten in Verbindung mit den Deutschnationalen in fast allen Kommunalparlamenten mehr Mandate erlangt, als alle übrigen Parteien zusammen. In Auswirkung dieses Ergebnisses wird nunmehr auch die Kommunalpolitik der Reichspolitik gleichgeschaltet.

In den folgenden Tagen wandte man sich dann, so wie man es in seinem Wahlaufruf den "für Sauberkeit, Wahrheit, Gerechtigkeit und Ordnung" eintretenden NSDAP-Wählern versprochen hatte, der "gründlichen Reinigung der Verwaltung" und der  "Vernichtung des marxistischen Aemterschachers, der auch in unserer Gemeinde schlimmste Formen angenommen hat," zu. Am 18. März 1933 wird berichtet: "Bei der hiesigen Gemeindevertetung ist, nachdem die Herren Grube, Horst, Schulz-Raase, Nath, Eisenblätter, Frl. Steffen, Frl. Rießner und Frau Hammer auf Veranlassung der hiesigen Ortsgruppenleitung der NSDAP beurlaubt waren, und die Herren Willing und Schertel mit der Wahrnehmung der Geschäfte beauftragt worden sind, noch keine weitere Personalveränderung erfolgt. Gerüchte, die davon wissen wollten, daß einige Beamte bereits wieder eingestellt seien entsprechen nicht den Tatsachen."
Die Beurlaubung des Gemeindevorstehers Klink war bereits am 9. März 1933 durch die "Billstedter Zeitung" mitgeteilt worden. Sie dürfte im Zusammenhang mit einem Disziplinarverfahren gestanden haben, das am 6. April 1933 gegen ihn eröffnet wurde und auf das weiter unten näher eingegangen werden wird. In den Besitz des Postens des Gemeindevorstehers kamen die Nationalsozialisten hierdurch allerdings noch nicht. Zunächst wurde nämlich der Gemeindevertreter Jenkel mit der Vertretung Klinks beauftragt. Erst dessen Rücktritt Ende März und der mittlerweile ergangene Runderlaß des preußischen Ministers des Innern, daß sozialdemokratische Gemeindevorsteher, Mitglieder von Kreisausschüssen und Magistraten zu beurlauben seien und die Wahl von Sozialdemokraten in diese Ämter untersagt sei, machte den Weg frei zur Berufung des der NSDAP angehörigen Lehrers Diekgräf zum kommissarischen Gemeindevorsteher durch den Oberpräsidenten in Schleswig.

Die Zusammensetzung der Billstedter Gemeindevertretung veränderten die Nationalsozialisten derweil durch einen weiteren Runderlaß des preußischen Ministers des Innern vom 20. März 1933, der besagte, daß Mitglieder der KPD aufgrund des Verdachts des Hochverrats von den Gemeindevertretungen auszuschließen seien. Doch auch so zählte Billstedt zu denjenigen Gemeinden, in denen die Nationalsozialisten in Verbindung mit den Deutschnationalen über keine Mehrheit verfügten: Ebenso wie die Sozialdemokraten kamen sie zusammen auf 9 Mandate, während ein weiteres auf die Katholiken entfiel. Über die Art und Weise, wie dieses Verhältnis dann weiter zu Gunsten der Nationalsozialisten verändert wurde, heißt es: "Der Vorsitzende (der Gemeindevertretung, d. Verf.) teilt mit, daß die Herren Nath und Feser die Annahme der Wahl abgelehnt haben. Herr Körner hätte sein Amt niedergelegt. Alle drei Personen gehören der SPD an. Anstelle der Erstgenannten sind die Herren Diedering und Prußmann nachgerückt. Anstelle des Herrn Körner ist Frau Zietz eingetreten, deren Namhaftmachung jedoch so spät erfolgte, daß eine gesetzmäßige Einladung nicht mehr möglich war."


Ausgeführt wurde dies auf der ersten Billstedter Gemeindevertretersitzung nach den Wahlen vom 12. März, die am 4. April 1933 im Saal des neuen Verwaltungsgebäudes stattfand. Dieser findet sich in der "Billstedter Zeitung" wie folgt beschrieben: "Der Gemeindevorstand hat am Kopfende einen langen Sitzungstisch für sich und vor ihm in der Mitte des Saales sind Sitzsesselreihen für die Gemeindevertreter  angebracht. Dahinter befinden sich 50 Plätze für die Zuhörer, die sämtlich besetzt waren. Der Saal war bei der ersten Sitzung an der Stirnseite geschmückt mit der schwarz-weiß-roten und der Hakenkreuzfahne, während in der Mitte das Bild des Herrn Reichskanzlers Adolf Hitler aufgehängt war." Eröffnet wurde die Sitzung von dem kommissarischen Gemeindevorstand Diekgräf, der ebenso wie seine Parteifreunde in dem braunen Hemd der NSDAP erschienen war, mit einer Rede, in der er unter anderem ausführte, daß "der Marxismus ... in Deutschland keinen Platz mehr (habe)." Der SPD-Abgeordnete Wulff, der eigentlich nach Diekgräf an der Reihe gewesen wäre, kam erst zu Wort, nachdem der Führer der Billstedter Ortsgruppe der NSDAP Bode darauf hingewiesen hatte, "daß er das Bild Hitlers mit einem Lorbeerkranz schmücke zum Dank dafür, daß er das Vaterland befreit habe von Schmach und Schande." Wulff verwahrte sich daraufhin gegen den Verstoß Bodes gegen die Rednerliste, um dann dem Protest seiner Partei gegen den Ausschluß der KPD zum Ausdruck zu bringen und auszuführen, daß seine Partei "stolz darauf (sei), in Billstedt trotz der unterdrückenden Wahlpropaganda wieder soviel Stimmen erreicht zu haben, daß der Banner der Sozialdemokratie über Billstedt wehe," und daß sie wie im ganzen Reich auch hier bereit sei, "mitzuarbeiten im Interesse der Allgemeinheit und der Arbeiterschaft, um das Vertrauen ihrer Wähler zu rechtfertigen."


Dazu kam es allerdings nicht mehr, denn es folgte die Ausschaltung der SPD aus der Kommunalpolitik: Dadurch, daß der Gemeindevorstand und die Kommissionen entgegen der bisher üblichen Praxis nicht durch das Verhältnis-, sondern durch das Mehrheitswahlrecht besetzt wurden und sämtliche Abstimmungen mit einer knappen Mehrheit zugunsten der Nationalsozialisten ausfielen, konnten sie alle Posten mit ihren Leuten besetzen. Bei der Wahl des Gemeindevorstands kam die Mehrheit von 9 : 8 Stimmen nur dadurch zustande, daß ein Votum ungültig war; die folgenden Wahlen wurden dann jeweils mit 10 : 8 Stimmen entschieden. Während Bode dieses Vorgehen damit erklärte, "daß man mit den marxistischen Parteien, die uns 14 Jahre lang regiert haben, auch nicht in den Kommissionen zusammensitzen wolle", kündigte ein Vertreter der SPD an, daß seine Partei beim Kreisausschuß gegen diese "Vergewaltigung" Einspruch erheben werde. Auf seine Mahnung "Es werde die Stunde kommen, in der man Vergeltung üben könne." antworteten die Nationalsozialisten mit Gelächter und dem Ruf "Diese Stunde wird nie kommen!"


Tatsächlich fand bereits die nächste Gemeindevertretersitzung, die der inzwischen zum kommissarischen Amts- und Gemeindevorsteher eingesetzte Kieler Nationalsozialist Hingst am 30. Juni 1933 leitete, ohne die Abgeordneten der SPD statt. Ebenso wie den Kommunisten waren ihrer Partei schon annähernd zwei Monate zuvor Aufmärsche, Versammlungen, Presse und Propaganda untersagt worden. Auf diese Weise konnten "in vorbildlicher Zusammenarbeit, nach dem Grundsatz, Partei und Staat sind eins, (...) alle Fragen von einschneidender Bedeutung für den Ort zwischen Partei und Verwaltung geregelt (werden)", wie es im März 1938 einmal hieß.
 

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