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Lokale, Kinos und andere Vergnügungen

Ort der vielfältigen Veranstaltungen und Zusammenkünfte waren die Lokale Schiffbeks. Im Jahre 1908 belief sich ihre Zahl auf 13. Zu den bekanntesten zählten die Lokale von Vocke und Wüstenberg, das "Schleswig-Holsteinische Wappen" von August Rethwisch und das Chausseehaus von Hörmann. Seinen größten Versammlungsraum erhielt Schiffbek Anfang 1906 mit dem neuerrichteten Saal der Vockeschen Wirtschaft. Er konnte bis zu eintausend Besucher aufnehmen und wurde in der Folgezeit zur Stätte der meisten Großveranstaltungen. Die öffentlichen Versammlungen des "Sozialdemokratischen Vereins", bei denen gelegentlich Reichstagsabgeordnete auftraten und auch Reden in polnischer Sprache gehalten wurden, fanden hier ebenso statt wie die Volksunterhaltungsabende des "Gewerkschaftskartells", die Lichtbildvorträge des "Bürgervereins", die Maskeraden des "TV Gut Heil" und die Zusammenkünfte streikender Arbeiter. Zudem boten die Säle den Turnvereinen, die nicht wie der "TV Gut Heil" über eine eigene Halle verfügten, sowie den im Ort ansässigen Chören, Kapellen und Theatergruppen eine trockene Übungsstätte und zugleich eine Auftrittsmöglichkeit.
Außerdem sorgten die Wirte selbst für Programm. Sie veranstalteten Lichtbildvorträge und Abonnementskonzerte, luden auswärtige Bühnenensembles ein und richteten regelmäßig Tanzveranstaltungen aus. Beispielsweise inserierte August Rethwisch im September 1909 wie folgt: "Jeden Sonntag Gross. Konzert mit nachfolgendem Ball. Entree 10 Pfg. Herren ohne Wäsche und Damen mit Schürzen ist der Zutritt verboten."


Knapp fünf Jahre später liest man dann allerdings: "Theater und Konzerte sind bei uns nur noch Gäste." Der Grund dafür lag darin, daß mittlerweile die "lebenden Photographien" in Schiffbek Einzug gehalten hatten. Schon Anfang 1906 war es bei Vocke zu einigen "Kinematographen-Vorführungen" gekommen. Im Dezember 1910 konnte der "Lokal-Anzeiger" dann berichten, daß "im Salon "Zum Schleswig-Holsteinischen Wappen" der Inhaber desselben, Herr August Rethwisch, durch Vorführung lebender Photographien eine besondere Attraktion geschaffen hat. Unter nicht unbedeutenden pekuniären Opfern, durch Beschaffung moderner Maschinen und erstklassiger Apparate sowie durch Darbietungen der reichhaltigen, interessanten und lehrreichen Programme hat der Besitzer keine Mühen gescheut, so daß die Vorführungen aufs beste empfohlen werden können. Alle, die einige frohe Stunden verbringen und sich beim Kinematographen Erholung verschaffen wollen, sollten einen Besuch dieser Veranstaltung nicht versäumen. Man glaubt, nicht Bilder sondern lebende Menschen vor sich zu haben." Vorausgegangen war der Einrichtung dieses ersten Schiffbeker Kinos ein Großfeuer, dem das alte "Schleswig-Holsteinische Wappen" zum Opfer fiel. Zwei Jahre später zog Emil Vocke mit der Eröffnung des "Central-Theaters" gleich, das wie folgt angepriesen wurde: "Größtes und schönstes Etablissement für Lebende Photographien in Schiffbek und Umgegend. Es kommen zur Vorführung humoristische, ernste und wissenschaftliche Lichtbilder. Das Programm ist abwechslungsreich und hochinteressant, sodaß fortwährend Gelegenheit geboten ist, stets Neues und Fesselndes zu sehen und zu hören." Während Rethwisch ein tägliches Programm anbot, fanden Vockes Vorführungen an drei Tagen in der Woche statt. Der Preis betrug nachmittags für Erwachsene 25 Pf. und für Kinder 10 Pf., abends forderte er 40 Pf. bzw. 20 Pf. Bei den Filmen handelte es sich um Stummfilme in schwarz-weiß, die von einem Klavierspieler begleitet wurden.


Unabhängig von dieser technischen Neuerung waren die Lokale ein Fluchtpunkt vieler Erwachsener, die der teilweise drangvollen Enge ihrer Wohnungen entrinnen wollten. Im Jahre 1905 kamen auf die 1709 Haushalte von Familien mit zwei und mehr Mitgliedern durchschnittlich 4,75 Personen. Bedenkt man, daß es sich hierbei um einen Durchschnittswert handelt und daß die Wohnungen zum Teil nur über zwei Zimmer verfügten, die zudem mitunter nur durch andere Wohnräume zugänglich waren, so kann man erahnen, wie beengt die Verhältnisse in vielen Fällen gewesen sind. Weiter verschärft wurde die Situation außerdem häufig dadurch, daß sich die Familien Schlafburschen hielten, wie die Gesundheitskommission im Juli 1910 einmal beklagte. Diesen überließ man, um die Mietkosten zu mindern, gegen Entgelt eine Bettstelle. Kaum verwunderlich ist es da, daß sich viele Erwachsene bis spät in die Nacht in den Wirtshäusern aufhielten. Infolge des dort üblichen Alkoholkonsums verursachten sie auf dem Heimweg häufig Ruhestörungen, die die Wächter auf den Plan riefen. Gelegentlich mußten diese dann sogar Warnschüsse abgeben, um die Randalierer zu besänftigen.


Mit seiner Wandlung zum Arbeiterquartier wurde Schiffbek aber auch verstärkt zum Anziehungspunkt für verschiedene Wandergewerbe. Regelmäßig bot "der in den weitesten Kreisen bestens eingeführte und beliebte Tanzlehrer Herr Phil. Gemind" im Ort Tanz- und Anstandskurse für Kinder und Erwachsene an. B. Volkhardt, der auch die oben erwähnten "Kinematographen-Vorführungen" bei Vocke veranstaltet hatte, kehrte in der Folgezeit immer wieder nach Schiffbek zurück, um "lebende Photographien in höchster Naturvollkommenheit" zu zeigen. Und auch andere Schausteller machten nun im Ort Station: So wurde im April 1904 für zwei Tage gegenüber der Schule ein elektrisches Karussel betrieben. Im Mai 1905 gastierten das "Grand-Hippodrom Noblesse", "Franz v.d. Ville's Theater optischer Illusionen", eine Wahrsagerin und mit der "weißen Negerin Amanua" angeblich "das größte Wunder der Schöpfung u. größte Abnormität der Welt"; im November des nächsten Jahres folgte "Kreibe's afrikanische Menagerie", deren Spezialität in Wolfs-, Löwen-, Hyänen- und Schlangentheater bestand. Der Zirkus Wilke und der "Riesenzeltzirkus" Althoff besuchten von Zeit zu Zeit Schiffbek, und am 23. Mai 1912 findet sich schließlich die folgende Annonce im Lokal-Anzeiger: "Zum ersten Mal hier! H. Möllers Berg- und Talbahn auf dem Platze des Herrn Wüstenberg, Möllnerlandstraße. (...) Jeden Abend große Illumination. Interessant für Jung und Alt."