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1850 - Schiffbek in vormoderner Zeit

"Schiffbek (vorm. Scibbeke, Schibeke, Scipbeke), Dorf an der Chaussee von Hamburg nach Berlin, fast eine M(eile) südöstlich von Hamburg, Amt Reinbek, K(irch)sp(iel) Steinbek (1265 zu St. Jacobi in Hamburg eingepfarrt) - Dieses in einer anmuthigen Gegend belegene Dorf, welches nach zwei Feuersbrünsten fast ganz neu wieder erbaut ist, enthält außer einer Königl(ichen) Zollstelle und einer Chausseeeinnehmerwohnung 5 Vollh(ufen), 1 Halbh(ufe), 3 Viertelh(ufen), 8 Brinksitzerstellen und 7 Anbauerstellen. - Schule (80 K(inder)) - Seit 1802 ist hier eine Erziehungsanstalt, welche im Laufe der Zeit viele Zöglinge besucht haben. - V(olks)z(ahl): 494, worunter 1 Hebungscontrolleur, 2 Zollassistenten, 2 Krüger, 1 Höker, 2 Bäcker, 2 Schmiede, 1 Rademacher, 1 Zimmermann, 2 Tischler, und mehrere andere Handwerker. - Areal mit Schleems (s. Schleems): 518 Ton à 320 Q.R. Der Boden ist sandigt, wird aber durch Dünger, der häufig aus Hamburg geholt wird, sehr ergiebig gemacht. Der Kartoffelbau wird hier sehr stark getrieben; Mööre und Hölzungen fehlen." Über Schleems heißt es an gleicher Stelle, in der 1855/56 veröffentlichten zweiten Auflage der "Topographie der Herzogthümer Holstein und Lauenburg" von Schröder und Biernatzki: "Schleems-, Ober- und Nieder-, 2 kleine Ortschaften, welche auch zur Dorfschaft Schiffbek gerechnet werden, A(mt) Reinbek, K(irch)sp(iel) Steinbek. Ober-Schleems ist ein an der Möllner Landstraße vorzüglich schön gelegenes Mühlengewese mit einer Windmühle und zwei Wassermühlen; erstere und eine Wassermühle sind als Farbeholzmühlen, die andere Wassermühle als Papiermühle benutzt worden. Zu dem Gehöfte gehören 13 Ton. 21 R. Land (1/8 Pfl.). Zu Nieder-Schleems an der Hamburg-Berliner Chaussee gehören 2 Kathen, 3 Brinksitzerstellen, 3 Anbauerstellen und 17 Häuser, von denen 2 mit ihren schönen Gärten im Sommer von Hamburgern bewohnt werden; 2 sind Wirtshäuser. Einige Kathen liegen malerisch im Thal der Bille (...) V(olks)z(ahl): 101, worunter 1 Holzhändler, 1 Zimmermann, und einige Handwerker."


(...)


Auf die 1860 (bei einer Volkszählung) gezählten 128 Familien verteilten sich insgesamt 594 Personen. Dies entsprach fast genau der von Schröder/Biernatzki für Schiffbek mit Schleems im Jahre 1855/56 angegebenen Volkszahl von 595, und auch die Werte (einer weiteren Volkszählung) von 1864 sind annähernd identisch: 132 Familien und 597 Personen. Stellt man diesen Werten die Zahlen von 1634 gegenüber, so wird deutlich, in welchem Maße die Gemeinde seitdem gewachsen ist: Damals lebten lediglich 96 Menschen in Schiffbek. Der Großteil dieses Zuwachses dürfte auf die Zeit seit der Wende zum 19. Jahrhundert entfallen: Die Beseitigung der Leibeigenschaft, die Aufhebung des Zunftzwanges und die Liberalisierung der Ehegesetze ließen in diesem Zeitraum die Bevölkerung in den meisten deutschen Territorien stark anwachsen und lösten eine Wanderungsbewegung aus, die sich vor allem in die entstehenden Großstädte und deren Umland ergoß. Möglicherweise ist die Gruppe der Anbauer überhaupt erst im Zuge dieser Entwicklung in Schiffbek entstanden; auf diese Weise ließe es sich zumindest erklären, daß sie in der Topographie von 1801 keine Erwähnung finden.
 

 

Geht man davon aus, daß die für das Jahr 1634 bezeugte Zahl von 8 Höfen und 11 Katen auch der Zahl der Haushaltungen entsprochen hat, so wäre seitdem die durchschnittliche Familiengröße von 5 auf etwas mehr als 4,5 Personen gesunken. Erheblich überschritten wurde dieser Wert 1860 vor allem durch die Hufnerfamilien und die Haushalte von Schmieden, Bäckern und anderen gutgehenden Handwerken. Zum einen brachten sie es häufig auf eine überdurchschnittlich hohe Kinderzahl: Familien mit bis zu sechs Kindern waren gerade hier keine Seltenheit. Zum anderen gehörten häufig auch Dienstboten, Knechte und Mägde, oder aber Gesellen und Lehrlinge zu ihren Familien. Teilweise kamen diese Haushalte so auf über zehn Personen. Wenn von Einwohnerfamilien derartige Werte erreicht wurden, lag dies meistens an einer ausgesprochen hohen Kinderzahl. Außerdem lebten in solchen Haushalten aber häufig auch noch Verwandte sowie Kost- und Pflegekinder.
 

 

Von den 66 Gebäuden, die 1860 in Schiffbek gezählt worden waren, wurden 31 jeweils nur von einer Familie bewohnt. Im einzelnen handelte es sich hierbei um die Haushalte der 6 Hufner, des Besitzers des Mühlengeweses in Oberschleems, von 6 Kätnern und Brinksitzern, der drei im Ort ansässigen Ärzte, von 5 Altenteilern oder Personen, die von ihren Ersparnissen lebten, von 5 Gewerbetreibenden, namentlich 2 Bäckern, einem Rademacher, dem Mehlhändler und dem Riemermeister, der Bewohner von Schule, Zollhaus und Chausseehaus, sprich des Lehrers, des Hebungscontrolleurs und des Chausseegeldeinnehmers, sowie letztendlich auch eines Anbauers und eines Arbeiters. Annähernd sämtliche lohnabhängig Beschäftigten und Anbauer, die übrigen 5 Zollbediensteten, der Gendarm und der Oberpolizeidiener, der Großteil der insgesamt 36 offenbar selbständig Handel oder ein Handwerk betreibenden Personen, aber auch etliche Kätner, Brinksitzer und Altenteiler lebten zusammen mit anderen Familien in einem Gebäude. Überwiegend waren es zwei oder drei Familien, die ein Gebäude bewohnten, teilweise aber auch vier, fünf oder gar sechs.
 

 

Die Hufnerhäuser standen sämtlich an der Südseite der Hamburg-Berliner-Chaussee, und zwar zwischen der Stelle, wo diese von der Horner Marsch kommend die Geestkante erklimmt, und der Abzweigung der Möllner Landstraße, wo sich auch der Zollposten befand. Sie waren im Stil des niedersächsischen Hallenhauses gebaut und mit Stroh gedeckt. Im Südwesten, der vorherrschenden Windrichtung, wurden sie durch prächtige Bäume, meist Linden, umsäumt, und zur Bille hin verfügten sie über fruchtbare Gärten mit viele Obstbäumen, die zur Blütezeit zusammen mit den Baumgruppen der Billwärder Gärten "einen erquicklichen Anblick" boten. Zwischen den Hufnerhäusern befand sich das Schulgebäude, das der Verleger Holle der Gemeinde 1731 testamentarisch vermacht hatte. Zuvor, im Jahre 1712, hatte er hier den Vorläufer des "Hamburger Correspondenten" ins Leben gerufen, der im 19. Jahrhundert, mittlerweile in der Hansestadt selbst verlegt, zu einer der bedeutendsten Zeitungen Europas werden sollte. Auf der gegenüberliegenden Seite der Chaussee standen derweil nur kleine Häuser von Gewerbetreibenden, die an beiden Enden des Ortes von einem "Wirtschafts-Etablissement" gesäumt wurden. Das unmittelbar hinter der hamburgischen Grenze gelegene Gasthaus hieß "Zum Schleswig-Holsteinischen Wappen" und wurde von F. Ritscher betrieben. Wie bei den Hufnerhäusern handelte es sich auch bei ihm um einen großen Fachwerkbau, der über einen großen Garten verfügte. Der Vorderseite waren zwei große, schattenspendende Bäume vorgelagert, und zu beiden Seiten der Tür befanden sich auf Pfählen befestigte Eisengitter, die zum Anbinden der Pferde dienten.
 

 

Schließlich ist es auch interessant, einen Blick auf die Herkunft der in Schiffbek lebenden Menschen zu werfen. Im Jahre 1860 stammte bei 46 % der Familien mindestens ein Elternteil aus Schiffbek oder Schleems, so daß man diese Familien als eingesessene bezeichnen kann. Geht man davon aus, daß die zu diesem Zeitpunkt in Schiffbek lebenden Witwen und Witwer, die andernorts geboren worden sind, mit gebürtigen Schiffbekern verheiratet gewesen sind, so steigt dieser Wert gar auf 50 %. Insgesamt stellt sich die Herkunft der 1860 in Schiffbek lebenden Hauseltern wie folgt dar: 29% Schiffbek und Schleems, 16% sonstiges Kirchspiel Steinbek, 13% sonstiges Amt Reinbek, 4% Amt Trittau, 8% übriges Herzogtum Holstein, 4%Herzogtum Lauenburg, 2%sonstiges Königreich Dänemark, 12% Hamburg, 3% Königreich Hannover, 3%Großherzogtum Mecklenburg, 1% Königreich Preußen, 5% sonstiges/unbekannt.
Ausnahmslos waren dies hochgradig protestantisch geprägte Territorien. Insofern überrascht es nicht, daß 1860 annähernd 99 % der Einwohnerschaft Schiffbeks der evangelisch-lutherischen Kirche angehörten. Einzig ein katholischer Schustergeselle aus Bayern, ein sich zur reformierten Kirche bekennender Wundarzt und eine fünfköpfige Familie aus London, die der "englischen Kirche" angehörte, sorgten hier für eine gewisse Abwechslung. Da die Kirche seinerzeit noch eine große Bedeutung im Leben der Menschen hatte, dürfte sich die Gemeinde somit allsonntäglich mehr oder weniger geschlossen zum Gottesdienst in der Kirche des benachbarten Steinbek eingefunden haben, zu der neben Schiffbek, Schleems und Steinbek auch Barsbüttel, Boberg mit Oldenburg, Glinde, Havighorst mit Domhorst, Lohbrügge mit Ladenbek, Sande, Ohe mit Hahnenkathe, Mühlenbek, Öjendorf, Reinbek mit Carolinenhof, Hinschendorf, Reinbeker Ziegelei, Schönningstedt mit Heidkrug, Schönningstedterfeld, das Steinbeker Vorwerk, Steinfurth, Ost-Steinbek, Stemwarde, Willinghusen und das Kanzleigut Silk eingepfarrt waren.
 

(...)
 

Bis zur Herauslösung Holsteins aus dem dänischen Herschaftsbereich im Jahre 1864, aber wohl auch noch etliche Jahre darüber hinaus, kann Schiffbek als weitestgehend, wenn auch nicht mehr ausschließlich, agrarisch geprägte Gemeinde mit dörflichem Charakter angesehen werden. Trotz seiner Nähe zur Hafenstadt Hamburg wird Schiffbek auch zu diesem Zeitpunkt noch eine Welt für sich gewesen sein, in der vor allem anderen die Tradition das tägliche Leben der Menschen bestimmte.