go to content

Menu

Gespräch mit dem ehemaligen Zwangsarbeiter Jan Dempniak

Jan Dempniak wurde 1925 in der Nähe von Lemberg geboren. Seine Eltern waren Bauern, bewirtschafteten einen Hof von 2 ha Größe und hatten insgesamt 5 Kinder. Nach der Volksschule wechselte Jan Dempniak auf ein Gymnasium, wo ihm das Schulgeld aufgrund seiner guten Leistungen erlassen wurde.

Im Sommer 1944 wurde er von der Polizei auf der Straße verhaftet und zu einem Sammelplatz gebracht, wo mehrere tausend Polen für die Zwangsarbeit zusammengetrieben wurden. Es waren Männer unterschiedlichen Alters, die zunächst an zwei Tagen etwa 70 Kilometer bis zur tschechischen Grenze marschieren mussten. Sie hatten keine Gelegenheit, sich von ihren Familien zu verabschieden und sich noch Sachen von zu Hause zu holen, hatten also nur das, was sie am Leib trugen. An dem Sammelpunkt erlebte Herr Dempniak, wie zwei Männer die Flucht versuchten. Sie wurden jedoch von einem berittenen Polizisten gestellt und zurückgebracht.

Von der Grenze aus wurden sie mit geschlossenen Güterwaggons zunächst nach Wien transportiert. Es waren etwa immer 50 Personen in einem Waggon. Zum Sitzen hatten sie lediglich Holzbänke ohne Rückenlehne. Die Fahrt durch Tschechien dauerte etwa eine Woche, und erst als sie das Reichsgebiet erreicht hatten, wurden sie mit Nahrung in Form einer dünnen Suppe versorgt. Herr Dempniak hatte das Glück, dass ihm seine Schwester noch ein Brot zur Grenze gebracht hatte. Hiervon ernährte er sich während der Fahrt. Außerdem hatte er von ihr noch ein zweites Hemd erhalten.

Andere Zwangsarbeiter versuchten, bei Zughalten durch Löcher in der Waggonwand ihre Schuhe gegen Essbares einzutauschen. Außerdem stellte sich schon bald ein Läuseproblem ein. Dies versucht die Zwangsarbeiter dadurch in den Griff zu bekommen, dass sie ihre Kleidung über einem Feuer im Waggon ausräucherten, wobei allerdings einige Hemden in Flammen aufgingen. Zum Waschen bestand keine Möglichkeit. Ihre Notdurft mussten die Zwangsarbeiter während der Fahrt durch Tschechien bei Zughalten auf offener Strecke unmittelbar an der Bahnstrecke erledigen. Erst als sie das Reichsgebiet erreicht hatten, wurden sie aufgrund der geringeren Fluchtgefahr auf angrenzende Felder geführt.

Von Wien aus wurde der Zug weiter nach Neumünster geleitet. Die Fahrt dorthin dauerte etwa zwei Monate. Immer wieder stand er längere Zeit auf Rangiergleisen. Mitunter wurde er von alliierten Flugzeugen beschossen, wobei es mehrere Tote gab. Die Versorgung blieb schlecht. Bei Bahnhofsdurchfahrten wurden die Zwangsarbeiter häufig von Reisenden angestarrt.

In Neumünster angekommen wurden die Zwangsarbeiter in ein Durchgangslager gebracht, in dem auch deutsche Flüchtlinge untergebracht waren. Allerdings blieben sie strikt voneinander getrennt. Die Versorgungslage besserte sich auch hier nicht, und sie erhielten auch keine neue Kleidung oder Schuhe, sofern sie keine mehr hatten. Herr Dempniak erinnerte sich noch daran, dass aus dem angrenzenden Flüchtlingslager einmal ein Bonbon herüber geworfen wurde.

Von Neumünster wurde er schließlich zusammen mit etwa 120 anderen nach Billstedt gebracht. Hier quartierte man sie im Saal von Vocke an der Billstedter Hauptstraße ein. Sie schliefen in dreistöckigen Betten und wurden aus der Küche eines Kriegsgefangenenlagers für russische Kriegsgefangene (vermutlich das am heutigen Querkamp) versorgt. An sechs Tagen in der Woche wurden sie bei der Trümmerbeseitigung in den durch die Bombardierungen zerstörten Wohnquartieren und im Hafen eingesetzt.

Infolge der mangelnden Arbeitssicherheit und der schlechten körperlichen Verfassung kam es dabei zu zahlreichen Todesfällen. Auch hier wurden sie nicht mit neuer Kleidung versorgt. So trug Herr Dempniak lange Zeit die Bluse einer Straßenbahnschaffnerin, die er in den Trümmern gefunden hatte. Als im Winter einige Zwangsarbeiter um wärmere Kleidung nachfragten, brachte man sie in ein Straflager, wo einer von ihnen durch die Wachmannschaft bestialisch ermordet wurde. Man zwang ihn, bei eisigen Temperaturen zwölfmal um die Schlafbaracke zu laufen und nach jeder Runde in eine Tonne mit eiskaltem Wasser zu steigen. Nach der dritten Runde brach er tot zusammen.

Der Kontakt zu der einheimischen Bevölkerung war untersagt, und überwiegend wurden die Zwangsarbeiter von ihr auch ignoriert. Gelegentlich kam es vor, dass ihnen Essbares zugesteckt wurde oder dass sie am freien Sonntag heimlich für kleine Dienstleistungen angeworben wurden. So half Herr Dempniak beispielsweise einem älteren Mann bei Mauerarbeiten, obwohl er selbst zuvor noch nie gemauert hatte. Als der Auftraggeber dies erkannte, zeigte er ihm die Handgriffe und ließ ihn weiterarbeiten. Als Entlohnung gab es ein warmes Essen.

Ansonsten nutzen die Zwangsarbeiter die Sonntage, um ihre Kleidung zu waschen oder sich selbst Mahlzeiten zuzubereiten. Von dem kleinen Entgeld, das sie erhielten, durften sie sich aber nur  Nahrung kaufen, die für das Vieh angeboten wurde, wie beispielsweise Rüben. Dabei kam es immer wieder vor, dass sie von Hitlerjungen schikaniert wurden. Mal bewarfen diese sie mit kleinen Steinchen, mal stießen sie ihnen die Feuerstellen um.

Bei Kriegsende wurden die Zwangsarbeiter in ein Lager für Displaced Persons bei Scharbeutz an der Ostsee gebracht. Bis Herr Dempniak zu seiner Familie zurückkehren konnte, vergingen allerdings noch zwei Jahre. Erst dann hatte das Rote Kreuz seine Angehörigen ausfindig gemacht, die mittlerweile nach Breslau übergesiedelt waren.