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Billstedt an der Bille: Wie Hamburg alles tut, um einen Stadtteil um seine große Entwicklungsmöglichkeit zu bringen

 

Billstedt an der Bille: Die Präsentation

 

Im September 2012 startete die Geschichtswerkstatt Billstedt die Initiative „Billstedt an der Bille“: Auf der Billevue veranschaulichte sie anhand eines etwa 2 Quadratmeter großen städtebaulichen Modells, wie sich Billstedts Zentrum entwickeln könnte, wenn man in diesem Bereich die Schnellstraße B5 auf einer Länge von etwa 850 Meter überdeckeln würde und den so gewonnenen Platz zwischen Zentrum und Billeufer sowie den jenseits des Flusses gelegenen Nordrand Billbrooks für Wohnungsbau nutzen würde. Ohne weiteres könnte man so 1.200 neue Wohnungen in attraktiver Wasserlage und zugleich in unmittelbarer Nähe zur guten Infrastruktur des Billstedter Zentrums schaffen. Das Billstedter Zentrum würde so nicht nur von Lärm und Abgasen entlastet, sondern es würde durch die neue Bausubstanz und die Erschließung der Wasserkante einen massiven städtebaulichen Impuls erhalten. Und schließlich könnte man den am Nordrand Billbrooks noch erhaltenen gründerzeitlichen Fabrikhallen neue Nutzungsmöglichkeiten eröffnen und so ihren aktuell gefährdeten Bestand sichern.

 

Diese städtebauliche Vision stieß auf dem Stadtteilfest auf großes Interesse und sehr viel Zustimmung. An den zwei Tagen konnten mehr als 130 Unterschriften von Unterstützern gesammelt werden. Und auch im Billstedt Center, wo es anschließend eine Woche lang gezeigt wurde, und in der Billstedter Bücherhalle, wo es bis vor kurzem zu sehen war, sorgte das Modell für viel Aufsehen. Mittlerweile ist es in den Kulturpalast umgezogen, wo es im Baustellen-Casino beim Info-Tresen betrachtet werden kann. Aber nicht nur für die Menschen im Stadtteil selbst öffnete „Billstedt an der Bille“ eine reizvolle Perspektive, auch die Medien fanden die Idee hochspannend. So berichtete das Hamburger Abendblatt kurz vor Weihnachten 2012 mit einem großen Artikel über die Initiative.

 

Im Regionalausschuss

Parallel machte sich die Geschichtswerkstatt Billstedt mit ihrer städtebaulichen Vision auf den Weg durch die Instanzen von Politik und Verwaltung. Das erste Ziel: Eine Machbarkeitsstudie, die die Idee in technischer Hinsicht sowie bezüglich der Kosten beleuchtet und so ein wenig erdet. Kostenpunkt: Etwa 30.000 Euro. Erste Station: Der Regionalausschuss Billstedt, das unterste politische Gremium, das Empfehlungen an die Bezirksversammlung Hamburg-Mitte aussprechen kann. Im April 2013 war es schließlich so weit: Wir durften „Billstedt an der Bille“ vorstellen und erhielten von allen Fraktionen wohlwollende Rückmeldungen. Bei seiner nächsten Sitzung einen Monat später sprach sich der Ausschuss dann auf Antrag der Grünen auch dafür aus, das Thema an den Stadtplanungsausschuss des Bezirks zu verweisen.

 

Als Termin wurde zunächst der September 2013 angepeilt, dann wurde es Oktober 2013. Vorher tanken wir im Forumsbeirat, dem obersten Bewohnergremium im Stadtteil, das 2006 mit der Aufnahme von Billstedt und Horn in das Programm der Aktiven Stadtteilentwicklung eingerichtet worden war, noch einmal Selbstbewusstsein. Im Anschluss an unsere Präsentation und die lebhafte Diskussion des Projekts sprachen sich 24 von 27 Teilnehmern bei drei Enthaltungen für die Beauftragung einer Machbarkeitsstudie aus.

 

Im Stadtplanungsausschuss

Im Stadtplanungsausschuss lag dann zunächst unsere Präsentation nicht vor, gleichwohl wir sie vorher per Mail übersandt hatten. Doch wir hatten sie sicherheitshalber auch noch einmal auf dem USB-Stick dabei und konnten so nicht nur die Details der Idee vorstellen, sondern auch die Überlegungen, die wir zur Finanzierbarkeit des Projekts angestellt hatten. Referenzpunkt war dabei insbesondere der bereits beschlossene Deckel über die A7. Das Ergebnis: Auch wenn es für den Deckel über die B5 keinen Zuschuss des Bundes geben würde, wäre die Kosten-Nutzen-Relation vergleichbar.

 

Anschließend kommentierte der Leiter der Stadtplanungsabteilung Herr Mathe das Projekt. Zwar bezeichnete er die Idee als städtebaulich grundsätzlich reizvoll, doch dann hagelte es Gegenargumente. Es fing damit an, dass für „Billstedt an der Bille“ Bäume gefällt werden müssten und dass der öffentliche Weg am Billeufer unbedingt erhalten werden müsse. Ersteres ist wohl mit jedem größeren Bauprojekt verbunden, letzteres ist selbstverständlich auch Bestandteil unseres Entwurfs. Dann ging es weiter: Durch die erforderlichen  Betriebsverlagerungen am Nordrand Billbrooks würden „nicht-white-collar“-Arbeitsplätze, sprich: solche für Geringqualifizierte, verdrängt, das Bauen am Geesthang, an dem der Deckel ansetzen soll, sein kostenintensiv und die Gestaltung der Zu- und Abfahrten zur B5 seien schwierig, das gesamte Gebiet müsste, um es für Wohnungsbau nutzen zu können, für den ruhenden Verkehr sowie die Ver- und Entsorgung erschlossen werden. Stimmt alles, doch die Arbeitsplätze werden ja nur verdrängt und nicht vernichtet, und alles andere trifft ebenfalls auf die Deckel an der A7 bzw. auf andere neu erschlossene Siedlungsgebiete zu, ist also auch keine Argument, das insbesondere gegen „Billstedt an der Bille“ spricht.

 

Schließlich kamen aber auch noch zwei Punkte, die durchaus dazu angetan sein konnten, starke Gegenargumente zu sein. Zum einen, dass das Gebiet im Achtungsabstand zweier Störfallbetriebe liegt, zum anderen, dass Billbrook Industriegebiet und es planungsrechtlich nicht zulässig ist, dass Wohngebiete unmittelbar an Industriegebiete grenzen. Wenn überhaupt, dann sei „Billstedt an der Bille“ eine langfristige städtebauliche Option, vielleicht in 20 Jahren. Auf Nachfrage führte Herr Mathe schließlich aus, dass Mittel für eine Machbarkeitsstudie nicht vorhanden sind.

 

Stadtbaudirektor Prof. Walter

Hier hätte man natürlich aufgeben können, doch der Zufall wollte es, dass ausgerechnet Stadtbaudirektor Prof. Walter anschließend als Referent in der Ausschusssitzung erschien und nicht nur ausführte, wie man in Wilhelmsburg ganz selbstverständlich neue Wohngebiete in unmittelbarer Nachbarschaft zu Gewerbebetrieben schaffen wolle, sondern auch zwischen Tür und Angel auf „Billstedt an der Bille“ angesprochen, „Das unterstütze ich!“ antwortete und sich zu einer schriftlichen Stellungnahme bereitfand.

 

Anfang Dezember 2013 traf dann die Stellungnahme ein und, naja, Zustimmung stellt man sich dann doch anders vor. Zwar schrieb der Oberbaudirektor: „Ich halte den Vorschlag für eine sehr interessante Idee, durch eine Überdeckelung würde es sicherlich zu positiven Effekten für die Anwohner kommen und es könnte in einem gewissen Maße Wohnungsbau geschaffen werden. Für die Gesamtentwicklung Billstedts könnte eine Überdeckelung ein positiver Impuls sein.“ Doch dann kamen auch hier die Vorbehalte: An Billbrook solle als Industriegebiet festgehalten werden. Damit wäre dort planungsrechtlich eine Wohnbebauung unmöglich, gleiches gelte für das unmittelbare Aneinandergrenzen von Wohn- und Industriegebieten. Dann folgte auch hier der Hinweis auf die beiden Störfallbetriebe und den „planungsrechtlich gesicherten öffentlichen Gehweg entlang der Bille“. Weiter wurde benannt, dass alle relevanten Flächen in Privateigentum sind. Und schließlich wurden die von uns angestellte Kostenkalkulation sowie der Vergleich mit dem Deckel an der A7 in Zweifel gezogen.

 

Zum öffentlichen Gehweg entlang der Bille ist oben bereits alles gesagt worden, im Privatbesitz befindliche Grundstücke kann man natürlich auch immer versuchen zu erwerben, und bei den Kosten ist es doch immer eine Abwägung mit dem erwarteten Nutzen und damit auch eine Frage des Willens. Bleiben also letztlich auch hier die beiden Punkte Störfallbetriebe und der planungsrechtliche Ausschluss eines unmittelbaren Nebeneinanders von Industrie- und Gewerbegebieten.

 

Störfallbetriebe

Will man „Billstedt an der Bille“ nicht aufgeben, muss man hier ansetzen. Also bei der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) angefragt und die Auskunft erhalten, es handele sich bei den Störfallbetrieben um die Spedition Thordsen KG am Schiffbeker Berg sowie die Firma Commentz & Co am Billbrookdeich. Erstere habe einen „Achtungsabstand“ von 300m, der auf dort mitunter gelagerten Feuerwerkskörpern basiere, und sei für das Gebiet von „Billstedt an der Bille“ irrelevant. Mittlerweile wird das Unternehmen nicht mehr als Störfallbetrieb geführt.

 

Kniffliger lag der Fall bei Commentz & Co., die Anlagen zum Mischen und Vertreiben von ätherischen Ölen bzw. deren Derivaten hauptsächlich für Hersteller von Reinigungsmitteln betreiben und als Störfallbetrieb erfasst sind, da sie entzündliche Stoffe der Ziffer 6 und umweltgefährliche Stoffe der Ziffer 9a des Anhangs I der Störfallverordnung handhaben. Die Einstufung als Störfallbetrieb erfolgte im Mai 2002, der „Achtungsabstand“ betrug damals, Ende 2013, 1500m, reichte also über das gesamte Gebiet von „Billstedt an der Bille“. Wolle man im Bereich des Achtungsabstandes neuen Wohnungsbau errichten, müsse man als „Zustandsstörer“ durch ein Gutachten ermitteln lassen, was der „Angemessene Abstand“ zu dem Störfallbetrieb ist. Der Achtungsabstand basiert nämlich allein auf „dem betrachteten Stoff bei bestimmten unterstellten Szenarien und Ausbreitungsbedingungen“, während sich der Angemessene Abstand aus betrieblichen Detailkenntnissen (Rohrleitungsgrößen, Behältergrößen, vorhandenen Sicherheitseinrichtungen) ergibt. Kostenpunkt für ein solches Gutachten: etwa 3.000 Euro.

 

Doch Moment! Der Achtungsabstand der Firma Commentz & Co. reichte ja nicht nur über das Gebiet von „Billstedt an der Bille“, sondern auch bis zum Kattensteert, der Straße nördlich der Billstedter U-Bahn-Trasse. Und in dem Gebiet ist doch in den letzten Jahren einiges an neuem Wohnungsbau geschaffen worden. Sind das nicht „Zustandsstörer“? Hätte da nicht ein Gutachten in Auftrag gegeben werden müssen, dass den „Angemessenen Abstand“ ermittelt? Also bei der Stadtplanungsabteilung des Bezirks Hamburg-Mitte nachgefragt. Etliche Erinnerungen später im August 2014 die Antwort eines dortigen Mitarbeiters: „Nach einer aktuellen Bewertung vom April 2014 wird aufgrund der im Betrieb vorhandenen Stoffe (…) ein Achtungsabstand von 500m angenommen. Dieser Radius reicht etwa bis zur Moorfleeter Brücke über die B5. Vorhandene Wohngebiete in Billstedt sind nach derzeitigem Kenntnisstand nicht davon betroffen. Neue Wohnnutzungen, die gemäß Ihrem Vorschlag auf dem Deckel über der B5 platziert wären, würden jedoch zum Teil in diesem Einflussbereich liegen.“ Da letzteres nicht zutrifft – die BSU hat den Abstand auf 750m beziffert, durch Nachmessen lässt sich dies leicht bestätigen –, war damit das Thema Störfallbetriebe erledigt.

 

Industriegebiet

Bleibt der Punkt Industriegebiet. Stellen wir uns mal ganz dumm. Was ist ein Industriegebiet? Wikipedia sagt dazu: „Vom Gewerbegebiet im eigentlichen Sinne unterscheidet sich ein Industriegebiet durch die Ansiedlung von Betrieben, die ein ortsunübliches Maß an Umweltbelastung (wie Lärm, Staub, Geruch) produzieren und darum von Wohngebieten ferngehalten werden sollen. Es ist von Wohn- und Mischgebieten (gemischte Nutzung) ausreichend abgetrennt, für Schwerverkehr und andere Infrastruktur erschlossen (z. B. Gleisanschluss, Energie, Entsorgung) und mit speziellen Umweltauflagen belegt. Industriegebiete können – örtlich bedingt – noch weiteren Einschränkungen oder Erlaubnissen unterliegen.“ Aha: Umweltbelastungen, Emissionen. Wo nachfragen? Natürlich wieder bei der BSU. Und siehe da: Betriebe, von denen Emissionen ausgehen, sind nach dem Bundesimmissionschutzgesetz genehmigungspflichtig, in Billbrook gilt dies für viele Betriebe.

 

Doch schaut man genauer auf die von der BSU zur Verfügung gestellte Liste, stellt man zum einen fest, dass kaum einer dieser Betriebe in unmittelbarer Nachbarschaft zum Gebiet von „Billstedt an der Bille“ liegt. Und zum anderen fragt man sich, ob beispielsweise eine Firma für Tankreinigung und Containerwartung oder eine KfZ-Werkstatt und Autoverwertung unbedingt in einem Industriegebiet liegen muss. Erhellend war auch der Hinweis der BSU auf die öffentlich zugängliche PRTR-Datenbank, in der sämtliche Betriebe verzeichnet sind, deren Emissionen bestimmte Schwellwerte überschreiten. Unter anderem zählt die Lubrizol Deutschland GmbH, Niederlassung Hamburg dazu, die am Billbrookdeich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Gebiet von „Billstedt an der Bille“ ansässig ist. Verzeichnet sind für sie einzig giftige Abfälle. Bei allen anderen unmittelbaren und mittelbaren Anrainern von „Billstedt an der Bille“ verhält es sich ebenso. Auch hier stellt sich die Frage: Ist das mit einem Wohngebiet wirklich unvereinbar?

 

Stromaufwärts an Elbe und Bille

Im Frühjahr 2014 kamen dann der Wahlkampf für die Hamburger Bezirksversammlungen und der SPD-Spitzenkandidat Falko Droßmann zusammen mit Bürgermeister Scholz nach Billstedt. Beide sprachen mit großer Begeisterung von den Vierteln im Hamburger Osten, der Geestkante, dem Wohnen am Wasser und dem Nebeneinander von Wohnen und Gewerbe. Das klang alles wie eine Steilvorlage für „Billstedt an der Bille“, und so schickten wir Ihnen die Präsentation zu dem Projekt mit Bitte um Stellungnahme.

 

Noch bevor wir eine Antwort erhielten, ging der Hamburger Senat mit der städtebaulichen Offensive „Stromaufwärts an Elbe und Bille. Wohnen und urbane Produktion in HamburgOst“ an die Öffentlichkeit. Innerhalb der nächsten zehn Jahre wolle man die Stadtteile im Hamburger Osten, Rothenburgsort, Borgfelde, Hamm, Horn, Billbrook und Billstedt konsequent weiterentwickeln, Raum für Gewerbeansiedlung und 20.000 neue Wohnungen schaffen. In dem Papier fanden sich Formulierungen wie die folgenden:

 

„Die größte Ressource der östlichen Quartiere sind ihre Freiräume: idyllische Ufer an Flussläufen und Kanälen, Parks, Quartiersgrün und Grünzüge. Diese Qualitäten gilt es zu entdecken, zugänglich zu machen und gut zu gestalten.“

 

„Identität sichtbar machen: ‚Stromaufwärts an Elbe und Bille‘ setzt auf eine konsequente Stärkung der vorhandenen und die Schaffung neuer Lebensqualität.“

 

„Zentren stärken: Die Zentren sollen durch private und öffentliche Investitionen und Aktivitäten aufgewertet werden. Wohnungsneubau und die Verbesserung der ÖPNV-Anbindung tragen dazu bei, dass das urbane Leben gestärkt und die Nachfrage nach attraktivem Wohnraum befriedigt wird.“

 

„Räume vielseitig nutzen: Auch die östlichen Industrie- und Gewerbegebiete gewinnen: durch eine verbesserte Zugänglichkeit und die Gestaltung von öffentlichen Räumen an den Wasserlagen sowie durch die Förderung von Mischgebieten (…). Urbane Produktion und Wohnen passen in der modernen Arbeitswelt gut zusammen. Die funktionsgetrennte Stadt gehört der Vergangenheit an.“

 

Nur in Billbrook weiterhin die funktionsgetrennte Stadt

Auch das passte alles wunderbar zu „Billstedt an der Bille“. Allerdings bezog sich der letzte Punkt nur auf „ausgewählte Gebiete wie Hammerbrook und Hamm-Süd“. Zwar wurde für Billbrook konstatiert, dass „das Gebiet (heute) in seiner Außenwahrnehmung geprägt (wird) von Speditionen, Lagerei und Versorgungsunternehmen, die hier von der Nähe zur Stadt und zum Hafen profitieren.“ Doch zugleich wurde die folgende Vision entworfen:

 

Billbrook. Die Industrie von morgen: Es gilt, das Potential dieses wirtschaftsstarken und nachgefragten Industrie- und Gewerbestandorts besser zu nutzen, bestehende Unternehmen zu sichern, weitere wertschöpfungsstarke Unternehmen anzusiedeln und zugleich wichtigen öffentlichen Wegeverbindungen eine erlebbare Stadtqualität zu geben. Billbrook soll ein Magnet für Industrieansiedlung werden und Raum für neue zukunftsfähige Arbeitsplätze bieten.“

 

Monströser Gebäuderiegel statt Deckel

Für das Billstedter Zentrum wurde schließlich folgende Perspektive skizziert: „Das attraktive Zentrum: Für die Billstedter hat ihr Zentrum überzeugende Qualitäten als Mittelpunkt und wichtige Versorgungsquelle mit Waren, Dienstleistungen und guter Erreichbarkeit. Eine städtebauliche Qualifizierung seiner Ränder und Übergänge in die angrenzenden Quartiere könnte das Zentrum in Zukunft jedoch sehr viel besser in den Stadtkontext einbetten.“

 

Wie dies konkret aussehen könnte, wurde gleich anhand einer Luftbildanimation veranschaulicht. Von einem Deckel über die B5 keine Spur. Stattdessen lediglich ein vermutlich achtgeschossiger Gebäuderiegel von der Moorfleeter Straße bis zur Geesttwiete. Keine Ahnung, wer das attraktiv finden soll. Bestimmt nicht die Menschen, die dort wohnen sollen und direkt vor ihren Südfenstern eine stark befahrene Schnellstraße haben. Wenn überhaupt, kann man so wohl nur Sozialwohnungen bauen, deren Anteil schon heute in Billstedt bei etwa 30% liegt. Zu einer Aufwertung des Billstedter Zentrums wird das mit Sicherheit nicht führen, sondern eher die soziale Spaltung in der Stadt vertiefen und das schlechte Image von Billstedt fortschreiben.

 

Antwort der Senatskanzlei

Entsprechend fiel dann auch das Antwortschreiben der Senatskanzlei aus, das wenig später eintraf. Der Leiter des Planungsstabes Dr. Bösinger schrieb zwar, dass „die Überlegung, das Billstedter Zentrums durch eine Überdeckelung der B5 und die Realisierung von großflächigem Wohnungsbau beiderseits der Bille grundlegend zu stärken, (…) aus städtebaulicher Sicht zunächst sehr reizvoll (ist).“ Doch dann erteilte er der Idee mit den beiden folgenden Argumenten eine deutliche Abfuhr:

 

„Beim Projekt Billstedt an der Bille würde (…) die Wohnbebauung unmittelbar in das Industriegebiet Billbrook hineinrücken, was einen erheblichen Verlust knapper industrieller Flächen zur Folge hätte und darüber hinaus die betrieblichen Entwicklungsmöglichkeiten zahlreicher umliegender Betriebe stark einschränken würde. Einen derart massiven Eingriff in eines der wichtigsten Hamburger Industriegebiete hält der Senat – auch unter dem Aspekt des Vertrauensschutzes – jedoch keinesfalls für vertretbar. Außerdem muss mit in Betracht gezogen werden, dass, anders als beim Deckel über die A7, die enormen Kosten der Überdeckelung wie auch der erforderlichen Betriebsverlagerungen ausschließlich durch Hamburg zu tragen wären.“

 

Es bestehe daher „die Einschätzung, dass die vorgestellte Planungsidee – wenn überhaupt – nur langfristig und unter Wahrung der Entwicklungsperspektiven der dortigen Unternehmen zur Umsetzung kommen kann. Aufgrund der technischen Komplexität des Vorhabens ist es außerdem dringend angeraten, dass Hamburg jetzt erst einmal Erfahrungen mit dem Deckel in Altona sammelt, um sich nicht in ein finanziell riskantes Abenteuer zu begeben.“

 

Flüchtlinge statt Fabriken

Wie ernst es der Stadt Hamburg mit ihren „knappen industriellen Flächen“ ist, zeigte sich keine zwei Wochen später, als bekannt wurde, dass die Sozialbehörde überlegt, in der Berzeliusstraße in Billbrook eine Unterkunft für 500 Flüchtlinge zu schaffen. Ebenso wie bei den Sozialwohnungen wieder der gleiche Reflex, seine Probleme möglichst billig in Billstedt zu lösen. Gleichwohl der Stadtteil bereits mit 1.350 Flüchtlingen und Asylbewerbern eine deutlich höhere Quote als die meisten anderen Stadtteile aufweist, hat man keine Scheu, ihm weitere Lasten aufzubürden. Selbst innerhalb der SPD-Fraktion in Hamburg-Mitte soll dieser Punkt damit abgetan worden sein, dass die Flüchtlinge ja in Billbrook und nicht in Billstedt untergebracht werden sollten – als wenn sie dann nicht die Billstedter Infrastruktur nutzen würden.

 

Interessant wäre es zudem zu erfahren, was Dr. Bösinger mit den „betrieblichen Entwicklungsmöglichkeiten zahlreicher umliegender Betriebe“ meint, die durch „Billstedt an der Bille“ stark eingeschränkt würden. Sind damit etwa zusätzliche Emissionen gemeint, die Billstedt ebenfalls weiter belasten?

 

Billbrook: Wirklich ein Magnet für industrielle Neuansiedlungen?

Was bleibt also zu tun? So bedauerlich es ist: Angesichts der Pläne des Senats sind in den nächsten Jahren bei „Billstedt an der Bille“ keine nennenswerten Fortschritte zu erwarten. Erst wenn sich zeigt, wie realistisch die Hoffnungen sind, die in einen industriellen Aufschwung Billbrooks gesetzt werden, und die Stadt mit dem Bau des Deckels an der A7 Erfahrungen hinsichtlich der Kostenentwicklung gesammelt hat, lohnt es sich wohl, „Billstedt an der Bille“ wieder in die Diskussion zu bringen. Ärgerlich ist dies insbesondere, weil schon jetzt Zweifel angebracht sein dürfen, ob Billbrook tatsächlich zum Magneten für industrielle Neuansiedlungen wird. Weshalb sind die Betriebe denn bisher nicht nach Billbrook gekommen?

 

Sollte sich diese Einschätzung bestätigen, bleibt zu hoffen, dass der Senat dann hinsichtlich der Zukunft Billbrooks nicht mehr so bedingungslos den Einflüsterungen von Handelskammer und Billbrookkreis, in dem viele Gewerbetreibende Billbrooks zusammengeschlossen sind, folgt und sich für eine substantielle Entwicklung des Billstedter Zentrums in Richtung Bille öffnet statt diese weiterhin zu blockieren.

 

Gewerbegürtel zwischen Wohnen und Industrie

Bis dahin sollte man versuchen zu verhindern, das städtebauliche Fakten wie der angedachte monströse Riegel am Geesthang, die eine Entwicklung des Billstedter Zentrums zum Billeufer erschweren, geschaffen werden. Man sollte weiter Argumente für „Billstedt an der Bille“ sammeln. So sollte beispielsweise anhand von Lärmkarten und Luftmessungen überprüft werden, ob die Belastungen, die von der B5 für das Billstedter Zentrum ausgehen, überhaupt im Rahmen der zulässigen Grenzwerte liegen. Und man sollte versuchen, „Billstedt an der Bille“ mit den baurechtlichen Bestimmungen in Einklang zu bringen. Zentrale Bedeutung wird dabei der Schaffung eines Gewerbegürtels zukommen, den man zwischen das Industriegebiet und die Wohnbebauung am Nordrand Billbrook legen müsste. Er könnte östlich der Moorfleeter Straße zwischen Billbrookdeich und Berzeliusstraße liegen und zusätzlich das Gebiet des ehemaligen Metallwalzwerks zwischen Bille, Moorfleeter Straße und Billbrookdeich umfassen.

 

Wichtig ist es dabei deutlich zu machen, dass der Teil von „Billstedt an der Bille“, der sich in Billbrook befindet, gerade einmal 1% der Gesamtfläche des heutigen Industriegebiets ausmacht; zusammen mit dem Gewerbegürtel sind es nicht einmal 3%. Auch dadurch wird das Industriegebiet Billbrook nicht ansatzweise in seinem Bestand infrage gestellt, wie es Dr. Bösinger in seinem Antwortschreiben behauptet.

 

Auch für Billstedt ein großes Stück vom Kuchen!

Schließlich noch ein Wort zu den Kosten. Ja, „Billstedt an der Bille“ wird erheblich städtische Investitionen erfordern. Aber die Stadt gibt ja auch andernorts im großen Stile Geld aus, um Stadtteile städtebaulich nach vorne zu bringen. Erinnert sei dabei etwa an Wilhelmsburg, wo man angesichts des Verlusts von 35 Millionen Euro bei der IGS nicht einmal mit der Wimper gezuckt hat, wo man die Wilhelmsburger Reichsstraße verlegt und auch nicht davor zurückschreckt, Gewerbebetriebe am Jaffe-Davids-Kanal zu verlagern, um dort Wohnungsbau anzusiedeln. Oder der Deckel über die A7, die Hafen-City, das Harburger Hafengebiet und die Neue Mitte Altona. Wir sind der Meinung, angesichts der Lasten, die Billstedt seit Jahrzehnten für die Stadt schultert, hat es schon lange verdient, auch einmal ein größeres Stück vom Kuchen abzubekommen.

 

Und es ist ja nicht so, dass die Stadt nicht auch davon profitieren würde. Nicht nur, dass man mit „Billstedt an der Bille“ in attraktiver Wasserlage einen großen Beitrag zum angestrebten Wohnungsneubauziel leisten könnte. Das neue Quartier könnte auch die bereits vorhandene leistungsfähige Infrastruktur des Billstedter Zentrums nutzen, die andernorts erst geschaffen werden müsste.

 

Wir kommen wieder

In zwei oder drei Jahren sollte man einmal nachfragen, was aus den industriellen Neuansiedlungen in Billbrook geworden ist. Und vielleicht liegen dann ja auch schon erste Erfahrungen mit dem Deckelbau an der A7 vor. Sollten die einen ausgeblieben und der andere finanziell im Rahmen geblieben sein, könnte man ja durchaus zu einer Neubewertung von „Billstedt an der Bille“ kommen. Notwendig wäre dann nur noch der politische Wille, die planungsrechtlichen Grundlagen hierfür zu schaffen und das Geld für diesen wirklich großen städtebaulichen Impuls für Billstedts Zentrum aufzutreiben. Dass „Billstedt an der Bille“ genau das sein würde, darin waren sich ja schon jetzt alle einig.