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Schanzarbeiten und Versorgungsmaßnahmen

Zum Mithelfen bekamen die Sympathisanten reichlich Gelegenheit bei den Maßnahmen, die die Kommunisten gleichfalls in den frühen Vormittagsstunden zur Absicherung der von ihnen über Schiffbek errungenen Herrschaft nach innen und außen einleiteten. Durch Schützengräben, Barrikaden und straßensperrende Posten wurde der kleine Ort nach außen abgeriegelt, Telefonverbindungen wurden gekappt bzw. die Benutzung der Apparate verboten, bewaffnete Patrouillen kontrollierten die Lage im Innern.

Rudolf Giffey erinnert sich, wie auch parteilose Sympathisanten bei Schanzarbeiten mit zufassten: „Ich stand in der Hamburger Straße. Da sah ich, wie einer, den kannte ich aus der Autowerkstatt, wo ich Lehrling war, der war bei uns Tischler, war’n ruhiger Mann um die 40, 45 Jahre alt ungefähr, der kam aus seinem Hausflur gerannt mit einer Brechstange, um mit anderen zusammen das Pflaster aufzureißen. Ich hab das nur erwähnt, um zu zeigen, dass eine Situation, eine Stimmung vorhanden war, wo die Menschen auf eine Veränderung der Verhältnisse drängten und bereit waren, sich dafür einzusetzen, auch dieser vollkommen unpolitische Mensch.“

Die stärksten Verschanzungen schuf man nach Westen zu entlang der Hamburger Grenze (heute Legienstraße). Hier, direkt gegenüber dem alten Zollhäuschen, das damals noch auf der spitzen Ecke zwischen Horner Landstraße und Washingtonallee stand, „hatten sich einige Gruppen darangemacht, … beim Kaufmann Laser die Pflastersteine und Fußsteigplatten aufzureißen, aufzuschichten und einen etwa 2 Meter breiten und 1 Meter tiefen Schützengraben quer über die Straße auszuheben.“ Ähnliche Verteidigungsanlagen entstanden an den Ausgängen der Ferdinand- und Friedrichstraße (heute Kirchlinden und Kuriergang), die nach Hamburg zu durch Schützengräben gesperrt wurden. In der Ferdinandstraße kam noch eine Barrikade kurz vor der Kreuz-Kirche hinzu. Eine weitere Sperre des Verkehrs in west-östlicher Richtung errichteten die Aufständischen im Ortsinnern kurz vor der Gabelung der Möllner Landstraße und der Hamburger Straße vom Kaufhaus Magnus quer über den Fahrdamm bis zum Zigarrengeschäft Blaß. Hier, etwa 200 Meter vor der Gastwirtschaft Peters im alten Chausseehaus „waren ein paar Männer damit beschäftigt, Barrikaden zu bauen. Sie rissen mit Kreuzhacken das Straßenpflaster auf und schichteten die Steine zu einem Wall.“ Zusätzlich schuf man eine Barrikade aus vier Fuhrwerken, die man beim Behnschen Fuhrgeschäft requiriert hatte und zum Teil in umgestürztem Zustand quer über die Straße stellte.

Bei dieser Verrichtung treffen wir den ehemaligen Leiter der revolutionären Schiffbeker Sicherheitswehr von 1918/19, Gedaschke, wieder, der zwischenzeitlich dem Schiffbeker KPD-Vorstand angehört hatte. Er war auch dabei, als ein 6 oder 7köpfiger Trupp beim Kaufmann Weger eindrang, die Inhaberin des Geschäfts mit einem Revolver bedrohte und Spaten und Schaufeln für die Schanzarbeiten der Kommunisten requirierte.

Zur Abriegelung des Ortes nach Süden bildete die Bille eine natürliche Sperre. Hier wurden lediglich die Laufbrücke und die Rote Brücke durch Posten gesperrt. „Ein von Schiffbek aus auf dem Hamburger Billufer von den Aufrührern aufgestellter Posten ist später von der hamburgischen Polizei festgenommen und entwaffnet worden.“

An der Straße nach Bergedorf wurden gleichfalls nur bewaffnete Posten aufgestellt. „Beim Amt, in der Nähe des Roten Brückenweges wurden alle Autos und Fuhrwerke angehalten und zur Umkehr gezwungen.“ Obgleich in dieser Richtung keine Sperranalgen gebaut wurden und man die Verteidigung gegen einen von Osten anrückenden Gegner offenbar den Bergedorfern überlassen zu können meinte, bildete durch die langgestreckte Nordseite des ehemaligen Straßendorfs Schiffbek, die nur durch einen Graben über den Rahlstedter Weg gesichert wurde, den eigentlichen Schwachpunkt der Festung Schiffbek, den die Orpo dann auch bei ihrem zweiten Angriff auszunutzen wusste.

Wie die Besatzungen der Sperranlagen hatten auch die Straßenpatrouillen dafür zu sorgen, dass niemand den Ort verließ. „Im Laufe des Vormittags durchzogen verschiedene Gruppen Bewaffneter die Straßen des Ortes ohne allerdings die Passanten zu behelligen. Nur nach Hamburg ließ man niemanden hinein.“ Einer der Beamten des Billbrooker Polizeipostens, der in Schiffbek wohnte, versuchte mehrfach vergeblich in Zivil zum Dienst nach Billbrook oder Horn durchzukommen. Andererseits wurde beim Aufstandsprozess mehreren Angeklagten, die sich darauf beriefen, nur deshalb zur fraglichen Zeit in Schiffbek gewesen zu sein, weil die Kommunisten sie nicht nach Hamburg durchließen, entgegengehalten: „Es ist nachgeprüft worden, dass mehrere Wege nach Hamburg frei waren.“ Die Maßnahmen der Herrschaftssicherung wurden ergänzt durch solche, die der Versorgung von möglichen Verletzten und der Verpflegung der Aufständischen dienten. Die Schiffbeker Kolonne des Arbeitersamariterbundes hatte schon am Morgen die Turnhalle der katholischen Schule in der Heinrichstraße (heute Hertelstieg) als Verbandsplatz hergerichtet. Ca. 20 Samariter arbeiteten hier auch noch an den zwei folgenden Tagen umschichtig. Als Arzt stand ihnen der in der Villa neben der Apotheke von Leysaht in der Hamburger Straße wohnhafte Dr. Bock zur Verfügung, der in Schiffbek auch die Ausbildung der Arbeitersamariter versah.

Für die Verpflegung hatte man die Küche im evangelischen Gemeindehaus beschlagnahmt und das Küchenpersonal, das dort schon für die Kleinrentnerspeisung kochte, fortgejagt. Der Lagerraum nebenan, der die Lebensmittel für die Quäker- und Kleinrentnerspeisung enthielt, wurde erbrochen und die Nahrungsmittel wie Kakao, Reis und Kartoffeln in der kommunistischen Volksküche verwertet. Mindestens fünf Schiffbekerinnen kochten unter der Leitung von Elfriede Bassing „in den dort vorhandenen Speisekesseln für die in den Schützengräben liegenden und in den Straßen patrouillierenden Kommunisten.“ Zur Aufbesserung des Lebensmittelbestandes requirierte ein bewaffneter Trupp in der Bäckerei Krogmann und beim Bäckermeister Heyne über 100 Brote, woraus die Frauen und Mädchen in der Volksküche „den Bewaffneten Frühstücksbrote … schnitten“. Der Bäcker Heyne, der vorgegeben hatte, kein Brot mehr zu haben, worauf die Kommunisten in seinen Backkeller eindrangen und an die 100 frischen Brote herausholten, erhielt für seinen Verlust eine ordnungsgemäße von Arnold Wolter unterzeichnete Quittung. Auch in Öjendorf requirierte ein Kommando der Kommunisten 2 Ztr. Kartoffeln beim Landwirt Bockholdt.

Proklamation der Räterepublik

Waren in Hamburg nur einzelne Viertel oder die Hälfte eines Stadtteils zeitweise in kommunistischer Hand, so kontrollierten die Schiffbeker Aufständischen immerhin ein ganzes, wenn auch sehr winziges Gemeinwesen, dessen legale Exekutive vollständig ausgeschaltet und dessen öffentliche Gebäude sämtlich besetzt waren. So fassten Fiete Schulze, Stanislaus Switalla und ihre Genossen in der Aufstandsleitung, angeblich auch von vielen kommunistischen Arbeitern gedrängt, den Entschluss, die bisher so erfolgreiche Revolution im Kleinformat durch die Ausrufung einer revolutionären Regierung zu krönen. Man erklärte den am Morgen gebildeten und im evangelischen Gemeindehaus residierenden Aktionsausschuss zum provisorischen Vollzugsrat mit Vollstreckungsgewalt und rief die Räterepublik aus. Um die Bevölkerung über die neuen Regierungsverhältnisse in ihrer Gemeinde zu informieren, formulierte der Vollzugsausschuss einen Aufruf, in dem außerdem jede Plünderung unter Todesstrafe gestellt, die Versorgung der „werktätigen Bevölkerung“ zugesichert, unter Strafandrohung die Abgabe aller Waffen- und Munitionsbestände verlangt, alle „wehrfähigen Arbeiter“ zur Beteiligung an der Aufstandsaktion aufgefordert und die Weltrevolution gefeiert wurde.

Den Druck dieses Flugblattes erzwang ein 6köpfiges bewaffnetes Kommando unter der Führung Switallas in der Buchdruckerei Schulz in der Hamburger Straße, wo auch die Schiffbeker Zeitung hergestellt wurde. Das Lokalblatt wurde bei dieser Gelegenheit unter Zensur gestellt, in einem Auszug durchgesehen und überprüft und erhielt erst danach die Druckerlaubnis. Aus der Ausgabe vom 23. Oktober 1923, Bezugspreis 150 Millionen Mark die Einzelausgabe, war über den Generalstreik oder eine reichsweite und größtenteils siegreiche Arbeiterrevolution, von denen der Aufruf des Vollzugsausschusses berichtete, nicht zu erfahren. In einem Artikel hieß es lediglich: „Die Rote Fahne ist vom Reichswehrminister erneut verboten worden, weil sie abermals zur Bewaffnung der Arbeiterschaft aufgefordert und den politischen Generalstreik proklamiert hat.“ Als die Schiffbeker aus der nächsten Ausgabe ihrer Zeitung am 25. Oktober Genaueres über die Situation in Deutschland entnehmen konnten, war der Aufstand bereits vorbei.

Bis 11.00 Uhr waren 200 Exemplare des Flugblattes gedruckt und an vielen Häuserwänden in Schiffbek und Umgebung plakatiert. Den Kleister zur Befestigung der Plakate hatten zwei Frauen unter Hinzuziehung eines Bewaffneten bei dem Drogisten Krüger, Hamburger Straße 79 requiriert.

Vor dem Amtshaus, wo sich viele der an der Arbeitsaufnahme gehinderten Schiffbeker versammelten, hielt Fiete Schulze eine Rede im Sinne der Räteproklamation. Entsprechend wurden auch die Patrouillen angewiesen, gegen Plünderer vorzugehen. Ein am Morgen von den Aufständischen rekrutierter Jutearbeiter, der auch an der Polizistenentwaffnung teilgenommen hatte, berichtete: „Wir gingen jetzt wieder in Richtung Amt Schiffbek und trafen auf der Straße Fiete Schulze. Dieser hielt uns an und nahm dem älteren unter uns den Karabiner ab und gab ihn mir mit dem Befehl: ‚Du und D. gehen jetzt Patrouille auf der Straße und verhütet Plünderungen. Wer beim Plündern betroffen wird, ist anzurufen, und wenn er nicht sofort steht, wird auf ihn geschossen.‘ Ich weigerte mich, diesen Befehl auszuführen. Darauf sagte Schulze: ‚Du musst es doch.‘ Nun führte ich den Befehl aus und patrouillierte zwischen Hamburger Straße und Juteeingang.“ Die beiden, die mit geschultertem Gewehr mehrmals ihren Weg abschritten, brauchten nicht einzugreifen. Zwei Tage später lobte die Schiffbeker Zeitung die von den Kommunisten verfügten Strafbestimmungen: „Erfreulicherweise war in diesem Aufruf besonders darauf hingewiesen, dass jegliche Plünderungen zu verhindern sind und solche ggf. mit dem Tode bestraft würden. Infolgedessen ist es zu irgendwelchen Ausschreitungen oder Plünderungen hierorts nicht gekommen.“

Sowohl für die polizeilichen und gerichtlichen Strafverfolger wie auch für manche führenden Kommunisten war der Schiffbeker Aufruf ein erfreuliches Indiz dafür, dass die Aufstandsbewegung durchaus politisch motiviert war und sich nicht im Streben nach besseren wirtschaftlichen Verhältnissen erschöpfte. Urbahns, der zwar später verteidigungsstrategisch vorgab, in der Zeit vor dem 23. Oktober nur einen legalen Arbeitersenat angestrebt zu haben, konnte sich doch nicht enthalten, gegenüber der zögerlichen KPD-Führung unter Brandler, der die Massen noch nicht für reif zum revolutionären Kampf um die politische Macht hielt, befriedigt anzumerken: „… Der Aufruf, der in Schiffbek an den Wänden geklebt hat, trug weder meinen Namen noch den Namen eines der übrigen Angeklagten. Was die Verfasser dieser Erklärung in Schiffbek sich gedacht haben, kann ich ihnen nachfühlen und das ist wahrscheinlich folgendes gewesen. Nämlich jetzt … haben es die breiten Massen der Arbeiterschaft satt, jetzt genügt es nicht mehr, einen Arbeitersenat zu haben, sondern jetzt muss darüber hinaus die Diktatur des Proletariats, die ganz einseitige Klassenregierung einsetzen. Es mag sein, dass die Arbeiter in Schiffbek besser die Lage erkannt hatten, als die Zentrale der Kommunistischen Partei.“

In umgekehrter Interessenrichtung hielt die Staatsanwaltschaft den Angeklagten der höheren und mittleren Funktionärsebene, die sich, wie später auch Switalla hinter wirtschaftliche Motive und den Glauben an einen gewerkschaftlich initiierten Generalstreik zurückziehen wollten, die Schiffbeker Proklamation zum Beweis des Gegenteils vor. So schreibt auch Danner, der Inhalt des Aufrufs zeige, „welche Vorstellungen die kommunistische untere Führung von  der Bedeutung und den Zielen des Aufruhrs hatte.“