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Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Schiffbek

"In Hamburg war die Aufregung unbeschreiblich; vor den Bahnhofseingängen große Ansammlungen, die Zugänge abgesperrt, dazu, wo nur irgend Eisenbahn-Geleise zu sehen waren, von der Lombardsbrücke bis zum Hannoverschen Bahnhof hinunter eine dichtgedrängte, vieltausendköpfige Menge. (...) Bis spät in die Nacht hinein wogte in den Straßen die Bevölkerung; auf allen Gesichtern war die Spannung über das Kommende zu lesen." Veranlassung für diese Aufregung war gewesen, dass der deutsche Kaiser an diesem Tag, dem 31. Juli 1914, den "Zustand der drohenden Kriegsgefahr" angeordnet hatte. Erwartet wurden von den Leuten Truppenzüge, denen sie zujubeln wollten.

 

Schiffbek hatte diese Nachricht als eine der ersten Stellen im Hamburger Raum um Viertel vor Zwei erreicht, und der "Lokal-Anzeiger", der zwei Tage zuvor dazu übergegangen war, die neuesten Nachrichten über den Konflikt zwischen Österreich und Serbien im Schaufenster seiner Druckerei auszuhängen, hatte "mit äußerster Schnelle" die Herausgabe von Extra-Blättern betrieben, die "gewaltige Ueberraschung" hervorriefen.

 

Einen Tag später kam dann tatsächlich die Nachricht, die von der kriegslüsternden Menge in Hamburg herbeigesehnt worden war. Auf rosafarbenem Papier gab der "Lokal-Anzeiger" bekannt: "1. August abends 6 1/4 Uhr. Mobilmachung befohlen! Erster Mobilmachungstag 2. August 1914." Nur drei Tage darauf konnte er berichten: "Die Folgen des Krieges machen sich in jeder, auch der kleinsten Ortschaft, fühlbar. Viele vertraute Gesichter jüngerer Männer, die man auf der Straße, im Geschäft oder sonstwo zu erblicken gewohnt war, fehlen und noch hört man von diesem oder jenem Reservisten, daß auch er in den nächsten Tagen fort müsse. Auch die kurze Frist, die die Ersatz-Reservisten und Landwehrleute noch unter uns weilen, wird bald um sein und infolge ihres Fehlens Straßen und Plätze umso vereinsamter erscheinen. Es ist eine schwere Zeit über uns hereingebrochen und nie hatte das Wort "Wer weiß, ob wir uns wiedersehen" mehr Berechtigung wie jetzt."

 

Noch eindringlicher sind die Schilderungen einer Schiffbeker Schülerin: "Was einige schon vielfach befürchtet hatten, es ist jetzt wirklich da: Deutschland muß kämpfen gegen seine Feinde; es ist ein großer Krieg im Anzuge. Am ersten August erließ der Kaiser den Befehl zur Mobilmachung. Auf roten Zetteln war es überall zu lesen. Ich war gerade auf der Hamburgerstraße, als die Zettel ausgetragen wurden. Als ich es zuerst las, dachte ich im ersten Augenblick: O, nun erlebst du auch wirklich mal einen Krieg. Aber zu Hause vergingen mir die Gedanken bald. Denn als ich es mir erst ordentlich vorstellte, wie schrecklich doch ein Krieg sein muß, wünschte ich doch lieber, es bliebe Frieden. Am nächsten Tag, es war ein Sonntag, da war alles viel ruhiger als sonst. Wenn sich die Leute trafen, sie sprachen nichts anderes, als vom Krieg, und die Männer frugen sich: "Na, mußt du ok noch los?“ oder "Wann geihst du denn weg?" Am Montag sah ich viele Mütter ihre Söhne, Schwestern ihre Brüder oder Bräute ihre Bräutigams zur Bahn bringen. Als ich Montagnachmittag vom Konsum kam, da sah ich eine ältere Frau mit ihrem Sohn, er sollte auch in den Krieg. Da fuhr die Straßenbahn mit ihm ab. Der junge Mann winkte noch seiner Mutter, so lange er sie sehen konnte. Die Frau hatte sich an einen Zaun gestellt. Da – als die Bahn um die Ecke war, sank die Frau auf einmal um und weinte aber doch so, daß alle Leute stehen blieben. Ein Schaffner hob sie auf und tröstete sie. Sie sagte kein Wort und ging mit langsamen Schritten nach Hause. Eine Frau sagte zu einem Schaffner: "Ja, ja, viele werden wohl noch so weinen!""

 

Bis Dezember 1914 waren 460 Einwohner Schiffbeks einberufen worden; im Juli 1915 umfassten die Listen der Liebeshilfe Schiffbek, die ortsansässigen Soldaten Pakete mit Lebensmitteln und Kleidung zukommen ließ, insgesamt 1007 Namen.

 

Neben der Mobilmachung versetzte bei Kriegsausbruch auch die Sorge um die Ersparnisse die Bevölkerung in Aufregung. Von amtlicher Seite versuchte man diesen Ängsten durch Verlautbarungen zu begegnen, wie sie sich auch im "Lokal-Anzeiger" fanden: "Ruhiges Blut. Es ist ein Mißverständnis, wenn man glaubt, sich bares Geld und Gold in den Kellern und Kästen aufspeichern zu müssen, weil in ernsten Zeiten andere Zahlungsmittel zurückgewiesen werden könnten." Als besonders sichere Geldanlage wurden die Kriegsanleihen empfohlen, die das Deutsche Reich ungefähr im halbjährlichen Abstand ausgab. Nachdem im März 1915 mit den Worten "Bringt das Gold zur Reichsbank!" zur Zeichnung der 2. Kriegsanleihe aufgefordert worden war, mahnte man bei der 4. Kriegsanleihe im März 1916 schon "Wer nicht zahlt, was er entbehren kann, verlängert den Krieg!“ Allerdings war in Schiffbek offenbar nicht allzu viel zu holen: Während die 2. Kriegsanleihe bis zum 20. März 1915 in Bergedorf eine halbe Million eingebracht hatte, waren hier bis zu diesem Zeitpunkt lediglich 46.000 Mark zusammengekommen.

 

(aus: Ralph Ziegenbalg: Schiffbek. Vom Dorf vor den Toren zum Arbeiterquartier der Großstadt Hamburg. Erhältlich für 18 Euro in der Thalia Buchhandlung im Billstedt Center und in der Geschichtswerkstatt Billstedt, Öjendorfer Weg 30)